Gebrauchsanweisung für die Welt
begegnet sind, dann überkommen mich verschiedene Gefühle. Zuerst ein Blick in Kategorie A, Stichwort Naivität. Noch jetzt schüttle ich den Kopf über die eigene Ignoranz. Oder den Mangel an Vorstellungsgabe. Ich wäre sicher nicht in diese Situationen hineingegangen, wenn ich weniger sorglos gewesen wäre, weniger blauäugiger Hansdampf. Ich war unbedarft, nicht mutig. Aber ich hatte Glück. Dumme, heißt es, haben mehr davon als andere. Dann bin ich gern einer, denn ohne das kommt keiner über die Runden. Nicht der Klügste, nicht der Erfahrenste, auch nicht der, der jeden Atemzug vorauskalkuliert. Die Wirklichkeit hegt eben Hintergedanken, von denen keiner vorher weiß. Die Glücklosen können davon berichten. Wenn sie es noch können.
Hier eine eher harmlose Geschichte, die böse hätte enden können. Wenn nicht der Zufall – nur ein anderes Wort für Glück – eingegriffen hätte: Frühe Nachtstunde in Kinshasa, damals noch Hauptstadt von Zaire. Ich wollte nur streunen, nur sehen, nur riechen. Aber in einem Land, in dem ein als Präsident wiedergeborenes Raubtier sich vorgenommen hatte, sein Reich leerzuplündern, in einem solchen Land kann man nicht »nur« streunen. Und erst recht nicht mit einer prallen Börse, am Gürtel befestigt. Zur Rechtfertigung meines Idiotismus könnte ich einzig sagen, dass es nicht denkbar gewesen wäre, in einer Unterkunft – auch nicht im feinen Memling Hotel , wo ich wohnte – irgendwelche Wertgegenstände zu lassen. Immerhin hing mein Hemd lose über meiner Reisekasse.
Ich war keine zehn Minuten unterwegs, als ich einen scharfen Zuruf hörte. Ein Soldat trat hinter einer Mauer hervor und wollte wissen, was ich hier zu suchen hätte. Die Frage war so schwachsinnig, wie sich danach zu erkundigen, warum am nächsten Tag Mittwoch sei. Es gab keine Ausgangssperre, ich war mitten in der Stadt, fotografierte keine militärischen Einrichtungen, mein Visum stimmte, ich war also hundert Prozent »rechtens«. Doch nicht in Afrika, nicht in der Nähe von Raubritter Mobutu und seiner Soldateska. Sekunden später standen sechs Mann in voller Kriegsmontur um mich herum. Da sie schlecht und unregelmäßig bezahlt wurden, waren sie hungrig. Auf den Besitz des weißen Mannes. Der Wortführer deutete auf die Ausbuchtung an meiner Hüfte, er wusste Bescheid.
Gegen ein halbes Dutzend Maschinenpistolen gibt es keine Argumente. Nach Hilfe rufen wäre eine komische Idee gewesen, denn afrikanische Innenstädte sind um diese Zeit vollkommen ausgestorben. (Und wer etwas hörte, würde erst recht zu Hause bleiben, aus wohlbegründeter Angst.) Widerstand leisten? So debil war ich dann doch nicht. Davonlaufen? Einer Flintenkugel? Nein, die Chancen standen eine Million zu null, dass ich hier ungeschoren davonkommen würde.
Während ich umständlich am Verschluss des Lederbeutels hantierte (Zeitschinden war mein einziger Impuls) und der Rädelsführer schon ungeduldig mit den Fingern schnappte, um die Bündel entgegenzunehmen, bog ein Wagen auf den Boulevard du 30 Juin ein, den Tatort. Und ich trat blitzschnell vom Trottoir (dem Rest eines Trottoirs) auf die Straße und winkte. Vollkommen von der Nutzlosigkeit der Geste überzeugt. Aber ich tat es. Und sofort erkannte ich, dass es sich um ein Diplomatenfahrzeug handelte, an der Standarte auf dem Kotflügel und – Sekunden später – am Corps-Diplomatique -Zeichen auf dem Nummernschild. Belgier! Die ehemaligen Kolonialherren, die beispiellos grausam »ihr« Belgisch-Kongo ausgebeutet hatten.
Nun, jetzt war keine Zeit, um ein Gerichtsverfahren wegen historischer Schuld zu inszenieren. Ich winkte heftiger und das Wunder fand statt: Der Wagen hielt und gleichzeitig – schon überraschend – nahm die Sechserbande Haltung an. Hinten rechts ging das Fenster herunter und jemand fragte, ob ich nicht einsteigen wolle. Wie in einem hübschen Politthriller. Und ich stieg ein. Mit all meinen 3300 Deutschmark, 2000 US-Dollar und etwa 10 000 Zaire, meinem gesamten Geld für die geplante Reportage.
Ein ranghoher Angestellter der Botschaft war mein Schutzengel. Als Old Africa Hand wusste er, ein Blick genügte, dass ich mich in Schwierigkeiten befand. Mobutus Söldner waren jedem, Ausländern wie Zairern, als Ausbund gesetzloser Halunken bekannt. Wie ihr Chef.
Mein Retter, der Ranghohe, blieb diskret, er bat mich nur, den Vorfall nicht gleich beim Frühstück an die Presse zu kabeln. Denn laut offiziellem Protokoll hätte er die Polizei rufen
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