Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gebissen

Gebissen

Titel: Gebissen
Autoren: Boris Koch
Vom Netzwerk:
gern einen brennenden Grashüpfer rumspringen sehen. Wenn der so voll über die Wiese vom alten Storck fegt und alles anzündet, stell dir das mal vor! Voll geil!« Jochen lachte. Er lachte stets, wenn es um Feuer ging, er liebte Flammen und trug immer mindestens ein Feuerzeug mit sich herum, meist zwei oder drei in unterschiedlichen Größen und Farben. Manchmal fantasierte er sich Dinge zusammen und vergaß dabei Kleinigkeiten wie die, dass auch sie sich gerade auf Storcks Wiese aufhielten und beim Abfackeln selbst geröstet würden. So etwas fiel Alex dagegen immer zuerst auf, aber er hielt die Klappe und lachte mit. Auch ihm war der alte Storck unheimlich, ein bulliger Griesgram mit wulstiger Unterlippe, der zur Antwort nur knurrte, wenn man ihn auf der Straße grüßte. Kinder scheuchte er wie Tiere herum. Trotzdem spielten sie oft auf seinen Feldern; sie durften sich eben nicht erwischen lassen.
    »Hey! Lasst uns versuchen, Fische anzuzünden!«, rief Jochen. »Stellt euch das mal vor, wenn Fische brennen könnten und so im Goldbach rumschwimmen würden! Dann bräuchte man nachts auf der Hauptstraße gar keine Straßenlampen mehr.«
    »Idiot!« Franz grinste.
    Aber Jochen lachte nur und ging voran - auf den Außenseiten der Fußsohle, denn seit der WM versuchte er, den Gang des o-beinigen Dribblers Pierre Littbarski zu imitieren.
    Sie folgten dem schnurgeraden Lauf des ausgetrockneten Überlaufgrabens, vorbei an der verwitterten Messlatte für Hochwasser und der Kuhweide vom Hintermayr aus dem oberen Dorf bis hin zum Goldbach. Als sie sich seiner Biegung vor der alten Mühle näherten, sahen sie ein Mädchen am Ufer kauern, dort, wo der Bach bei Hochwasser in den Überlaufgraben schwappte. Das andere Ufer war mit Bäumen und dichten Büschen bewachsen, welche die Mühle und die nächsten Häuser verdeckten.
    »Ist das die dumme Luzzi?« Jochen verzog angewidert das Gesicht, und Franz schlug ihm mit der flachen Hand auf den Rücken.
    »Du bist ja blinder als unsre Brillenschlange! Das ist die Simone.«
    Jochen hustete, und Alex ließ die Brillenschlange über sich ergehen und fasste das Mädchen fest ins Auge. Ja, es war Simone. Franz hatte mal Ärger in der Schule bekommen, weil er sie in der Pause einfach auf die Wange geküsst hatte. Erst hatte ihn Frau Giebinger zusammengestaucht, und nach der Schule hatte ihn dann Simones großer Bruder Kalle vermöbelt. Der war fünf Jahre älter und ein richtiger Sauhund. Regelmäßig vertrieb er mit seinen Kumpels Jüngere vom Bolzplatz, wenn sie dort spielen wollten, oder von der Schaukel, wenn sie eine rauchen wollten. Einen Ball hatte er Alex schon weggenommen, und Alex kannte keinen Jungen in ihrem Alter, der von Kalle noch nicht wenigstens herumgeschubst worden war oder auf dem Pausenhof einen Tritt in die Eier kassiert hatte. Kalle legte sich mit jedem an, sogar mit den Älteren.
    Alex konnte sich aber nicht mehr erinnern, wie Simone auf den Kuss reagiert hatte. Vielleicht gar nicht. Er wusste nur noch, dass er während der Rechenstunde darüber nachgedacht hatte, weshalb nicht er Simone geküsst hatte.
    Erst als sie fast bei ihr angekommen waren, drehte sie sich um. Ihr hübsches schmales Gesicht war ernst, eine blonde Strähne hatte sich aus dem Pferdeschwanz gelöst, und die dunkelgrünen Augen blickten verstört.
    »Hi Simone.« Franz lächelte und hakte die Daumen lässig in den Bund seiner Turnhose.
    Simone sah keinen richtig an und deutete auf einen toten Fisch vor ihren Füßen, der vielleicht einen halben Meter neben dem ruhig dahinfließenden Bach lag. »Schaut mal da.«
    Der Fisch war größer als eine Forelle, ein richtiger Brocken, hatte schillernde blau-grüne Schuppen und erstaunlich große Flossen gleich hinter den Kiemen. Sein Bauch war aufgerissen, die verschrumpelten, ausgetrockneten Innereien auf den Steinen des Walls verteilt, über den das Hochwasser bei Regen und Schneeschmelze in den Überlaufgraben abfloss. Von der zerrupften Rückenflosse war nicht viel übrig; zwei tiefe Wunden zogen sich über die Flanke hin, rosa Fleischfasern wie Fransen an ihren Rändern. Das runde, glasige Auge hing halb aus der Höhle und stierte Alex an. Er konnte den Blick nicht abwenden.
    »Der hat ja Flügel.« Jochen ging in die Knie und tastete über den Boden, vermutlich nach einem Stock. »Ein Fisch mit Flügeln, Wahnsinn.«
    »Quatsch mit Soße! Das sind Flossen!« Franz schob den Unterkiefer vor.
    »Ziemlich große Flossen, oder?«, mischte sich Alex
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher