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Gast im Weltraum

Gast im Weltraum

Titel: Gast im Weltraum
Autoren: Stanislaw Lem
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Konstruktionsmaterial; die Luftleere, war in bester Qualität im Weltraum vorhanden. Raketen beförderten von der Erde Tausende magnetische Stationen in den Raum, die so angeordnet wurden, daß sie einen idealen Kreis bildeten. Beaufsichtigte Orchild vielleicht diese Arbeit? Nein, er beschäftigte sich gerade mit dem, was sich zwischen diesen Stationen befand, das heißt mit der Leere. Also mit nichts? Ach, woher denn! Aus all dem, was er mir über sie erzählte, ging hervor, daß es nichts gibt, das reicher an Möglichkeiten ist als eben diese Leere, die von den elektromagnetischen Feldern, den Kurieren und Boten ferner Sterne, durcheilt wird. Onkel Orchild kam nicht auf Fernsehbesuch zu uns, denn dabei konnte man nicht auf Bäume klettern; und das tat er mit Vorliebe. Wenn er bei uns war, stiegen wir beide auf einen der hohen Apfelbäume, hockten uns in eine Astgabel, knabberten an den harten Äpfeln herum und diskutierten eifrig über Erregerströme und Steuerfelder, über aparallele Photone und gewichtslose Materieteilchen. Ja, damals stand bereits fest, daß ich Energetiker des leeren Raumes würde. Aber in den Ferien des Jahres 3103 brachen alle diese Pläne plötzlich und unerwartet in sich zusammen. Ich war inzwischen vierzehn Jahre alt geworden und erhielt die Erlaubnis, einen Ausflug von einigen hundert Kilometern zu machen. Ich flog nach Tampere. Kennt ihr vielleicht die Sehenswürdigkeiten dieser kleinen Insel im Nordmeer, der früheren Basis und des heutigen Museums für Weltraumschiffe? Umgeben von hohen Fichten, zwischen verwitternden Dolomitblökken erhebt sich eine riesige Halle mit großen Fenstern, auf deren Scheiben sich das Salz, das der Wind vom Ozean herüberweht, wie Reif abgelagert hat. Das hochgewölbte Dach der Halle spannt sich über ein Gewirr von Kränen, die an die Wirbelsäule und die Rippen eines urzeitlichen Riesenfisches erinnern; hier ruhen in langen Reihen die Raumschiffrümpfe.
    Kustos des Museums war ein Greis mit einem rotwangigen, von einem weißen Bart umrahmten Gesicht, in dem, von der Zeit vergessen, einzelne goldblonde Haare schimmerten. Ich entdeckte ihn in dem stockfinsteren Kesselraum einer Rakete. Er saß unter den Quarzkolben, in denen einst flüssiges Metall gekocht hatte; jetzt roch es zwischen den kalten Wänden nach Staub, Feuchtigkeit und Rost. Ich erschrak, als ich plötzlich vor ihm stand. Ich glaubte nämlich, allein zu sein. In dem schwachen Lichtschimmer, der von unten durch das geöffnete Einstiegluk drang, bemerkte ich zuerst nur das Weiß seines Bartes. Ich fragte ihn, was er hier mache.
    „Ich bewache sie … damit sie nicht fortfliegen“, antwortete er nach so geraumer Zeit, daß ich schon bezweifelte, überhaupt eine Antwort zu erhalten. Er erhob sich und blieb eine Weile vor mir stehen. Ich hörte sein mühsames, schweres Atmen, dann stieg er schweigend die Treppe zur Halle hinab.
    Ich besuchte dieses Museum häufig. Eine Zeitlang fanden der Alte und ich keinen rechten Kontakt miteinander. Ich versuchte, ihm näherzukommen, er schien mir, allerdings passiv, auszuweichen. Er hielt sich in einem Winkel dieses Schifflabyrinths verborgen, und hatte ich ihn endlich gefunden, dann beantwortete er meine Fragen anfangs sehr einsilbig, mit einem gewissen Sarkasmus, den ich nicht begriff. Später, als wir uns bereits länger kannten, wurde er gesprächiger. Allmählich erfuhr ich die Geschichte jedes einzelnen der Raumschiffe in der Halle und vieler anderer; denn er wußte – und ich glaubte es ihm – über die Geschicke aller Schiffe Bescheid, die in den letzten sechshundert Jahren unser Sonnensystem durchmessen hatten.
    Eine Zeitlang hielt ich mich bei der Familie meines Onkels auf Helgoland auf und flog von dort fast jeden Tag nach der kleinen Insel. In dem Maße, wie der Alte, so schien es mir, immer unwegsamere Gebiete seines Gedächtnisses erschloß, wurde er für mich zu einem ständig größeren Rätsel, denn er sprach niemals über sich selbst. Ich nahm an, daß er Kapitän eines Weltraumschiffes, vielleicht sogar Leiter ausgedehnter Expeditionen gewesen war. Ich erkundigte mich aber bei niemandem über ihn, denn ich brauchte ihn gerade so, wie er war, vom Nimbus des Geheimnisvollen umgeben.
    Gleich am Eingang der Halle standen zwischen den Pfeilern vier Raketenflugzeuge, die auf den kosmonautischen Werften vor tausend Jahren gebaut worden waren. Es waren archaische, schlanke Spindeln mit spitzen Nasen und breitausladenden Steuerflossen, die die
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