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Gast im Weltraum

Gast im Weltraum

Titel: Gast im Weltraum
Autoren: Stanislaw Lem
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denn sie verstehen nicht, wie es möglich ist, daß sich etwas bewegt, was nicht lebt.
    Diese Äußerung meiner Großmutter nahm ich mir sehr zu Herzen; denn auch ich wußte nicht, wie es kam, daß die Automaten sich bewegten und die ihnen erteilten Befehle ausführten. War ich vielleicht auch ein niederes Wesen? Deshalb verkrümelte ich mich, bevor ich den Palast zu bauen anfing – das heißt, bauen sollten ihn natürlich die Automaten –, mit den beiden Monoten in den äußersten Winkel des Gartens und befahl als erstes dem einen, den Bauch des anderen zu zerschlagen; ich wollte sehen, was er darin hatte. Doch der Monot verweigerte mir den Gehorsam. Wutschnaubend ergriff ich den größten Hammer, den ich im Hause fand, und machte mich selbst an die Arbeit. Aber ich wurde mit der Metallhülle nicht fertig. In meinem Arbeitseifer vergaß ich ganz, daß es die Stunde nach dem Mittagessen war, in der mein Vater ausruhte. Ich schlug mit dem Hammer so kräftig zu, daß der Lärm gewiß in der ganzen Umgegend zu hören war. Plötzlich vernahm ich über mir eine Stimme. Rot wie ein Krebs, erschöpft von der Anstrengung, hob ich den Blick und sah – meinen Vater, der traurig mit dem Kopf nickte. „Wenn du wenigstens ein Teilchen dieser Energie zum Lernen aufwendetest“, sagte er und ging ins Haus zurück.
    An meinem neunten Geburtstag, im Frühjahr 3098, erklärte mir meine Mutter, daß ich, wenn ich artig sei, zwei Wochen später mit den Eltern und den Geschwistern zur Venus fliegen dürfe. Dies sollte mein erster interplanetarer Ausflug sein. Die Zeit, die mich noch vom Tage der Abreise trennte, verbrachte ich als wahrer Musterknabe. Am Abend vor der Abreise kamen alle vier Onkel in eigener Person zu uns. Meine Mutter verschönte diesen Familienrat durch ein in tiefstem Geheimnis geschaffenes Wunder der Kochkunst. Es war eine Mondtorte, die, sobald sie auf den Tisch gestellt wurde, im geeigneten, richtigen Augenblick auf schäumte und aus einem Krater einen Strom von Krem ausstieß, der über die Schokoladenhänge des Tortenberges hinabfloß.
    Seit einigen Tagen hoffte ich im stillen, daß sich auf dem Weg zur Venus eine Katastrophe ereignete und wir uns als Schiffbrüchige auf einem einsamen Planetoiden niederlassen müßten. Ich bereitete mich auf solch ein Ereignis vor und beschloß, entsprechend große Lebensmittelvorräte mitzunehmen. Da mir die Torte für diesen Zweck besonders geeignet zu sein schien, stand ich in der Nacht auf, holte ein gewaltiges Stück aus der Speisekammer und verstaute es zuunterst in meinem kleinen Koffer.
    Am anderen Morgen begaben wir uns zum Raketenstartplatz in Meoria. Der Flug nach der Venus dauerte nicht lange und verlief ohne den geringsten Zwischenfall. Enttäuscht, müde vom Betrachten des tiefschwarzen Himmels vom Aussichtsdeck aus, verkroch ich mich in einen Winkel der Kajüte. Damit die Vorräte nicht verdarben, aß ich ein Stück Schokoladentorte mit Krem nach dem anderen, bis endlich die Lautsprecher die bevorstehende Landung auf dem Flughafen des Planeten bekanntgaben. Die Folgen der vertilgten Tortenmengen erwiesen sich als sehr betrüblich. Von dem Aufenthalt auf der Venus blieben mir nur die grimmigen Leibschmerzen, die mit Blumen und Vögeln bemalten Wände des Aufnahmezimmers für kranke Kinder und der dicke Arzt in Erinnerung, der, als er zu mir kam, laut lachte und mich fragte, wie mir die Venus gefiele.
    Am anderen Tage mußten wir zurückkehren. Mit tränenüberströmtem Gesicht wurde ich in die Rakete verfrachtet. Ich war wieder gesund, besaß also genügend Kraft, das erlebte Unglück in seiner ganzen Tiefe zu ergründen, das – und davor fürchtete ich mich am meisten – möglicherweise zum Gegenstand der Spötteleien meiner Geschwister wurde. Deshalb hüllte ich mich während des Rückflugs in düsteres, geheimnisvolles Schweigen, das allerdings niemand beachtete. Das war mein erster Ausflug in den Kosmos.
    Ich will nicht noch mehr ungeordnete, durcheinandergewürfelte Geschichtchen aus meinem Gedächtnis auskramen, die so nichtig sind wie viele unnötige Kleinigkeiten, von denen man sich doch nur schwer trennen kann. Ich erinnere mich wohl an sie, kann aber das Kind in mir nicht wiederfinden, das ihr Held war. Was blieb mir von dem allen? Eine Vorliebe für Märchen? Daß ich Schokolade nicht mag? Nicht viel mehr. Doch mit diesem kleinen Rest liegt der Schatten einer vergangenen Welt in den Tiefen meines Wesens verborgen, unerreichbar und unverständlich;
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