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Fürchtet euch

Fürchtet euch

Titel: Fürchtet euch
Autoren: Wiley Cash
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»Wenn ich erwischt werde, wirst du auch erwischt.«
    »Na endlich«, sagte er. Er kam aus dem Wald auf mich zu. Ich blickte kurz zu ihm rüber, und dann kroch ich, fast ohne nachzudenken, ganz langsam aus dem Wald an den Rand der Wiese, wo das Gras hoch und hellgelb im Sonnenlicht war, und lief geduckt weiter über die Wiese, als hätte ich Angst, mir den Kopf zu stoßen, wenn ich mich zu hoch aufrichtete. Die Wiese kam mir riesengroß vor, sobald ich aus dem Wald raus war, und ich dachte, wenn ich mich gerade hinstellen würde, könnte ich die Straße vor der Kirche sehen und wahrscheinlich sogar das Stück vom Fluss bis Marshall. Das bedeutete natürlich, dass jeder, der vorbeifuhr, mich auch würde sehen können, und ich hatte Angst, Miss Lyle könnte jeden Moment die Böschung auf der anderen Straßenseite hochkommen und mich entdecken. Ich duckte mich so tief ich konnte und beugte die Knie fast bis zur Erde und schlich weiter. Als ich halb über die Wiese rüber war, hielt ich an und blickte mich um; Joe Bill hatte sich noch nicht vom Fleck gerührt. Ich winkte ihm, er sollte endlich kommen, aber er lächelte und schüttelte den Kopf, und da wusste ich, dass er mich angelogen hatte und gar nicht mitkommen wollte. Ich überlegte umzukehren, aber dann hätte Joe Bill mich bloß wieder Feigling genannt, auch wenn er selbst einer war. Und dann dachte ich an Stump, der mit Mama da drin war, und ich schaute über das Gras auf die Rückseite der Kirche, und ich sah das Klimagerät im Fenster vibrieren, und da dachte ich mir, dass ich schon zu weit war, um jetzt noch umzukehren.
    Ich drehte mich wieder zu Joe Bill um, und er flüsterte irgendwas, aber ich war zu weit weg, um zu verstehen, was er sagte. Er legte die Hände um die Augen und sah mich an, als versuchte er, das Sonnenlicht abzuschirmen. Ich wandte mich wieder um und ging auf die Kirche zu, und kurz darauf war ich nah genug, um das Lied zu erkennen, das sie spielten, und ich wusste, es war »Have Thine Own Way Lord«. Manchmal sang Mama mir und Stump das Lied vor, abends vor dem Einschlafen, und mir fiel der Text ein, als würde ich im Bett liegen und mit ihr zusammen singen, dabei war ich doch hier draußen auf der Wiese hinter der Kirche, und ich schlich tief geduckt weiter, während das Lied sich in meinem Kopf selbst sang.
    *
    Hinten an der Kirche stand das Dach ein bisschen über, aber es bot so gut wie keinen Schatten, und als ich endlich an der Kirche war, spürte ich, wie die Sonne sich durch mein Hemd brannte. Ich sah meinen Schatten an, den die Sonne auf die Betonwand vor mir warf, und ich dachte, wie leicht Mama oder Mr Gene Thompson oder Miss Lyle oder sonst wer jetzt jeden Moment um die Ecke kommen und mich erwischen könnte. Ich stellte mir vor, wie sich ihre Schatten über die Wand bewegten, während sie sich an mich ranschlichen. Ich konnte regelrecht spüren, wir mir jemand auf die Schulter klopfte, und ich überlegte mir schon, was ich sagen könnte, wenn sie mich hier hinten ertappten.
    Das Klimagerät hing ungefähr in meiner Augenhöhe im Fenster, und bei dem Lärm, den es machte, würde ich nie und nimmer hören, wenn sich wer an mich ranschlich; ich konnte kaum noch die Musik hören, die aus der Kirche drang. Als ich davorstand, spürte ich die Hitze, die es auspustete, und die heiße Luft strömte mir in den Hemdskragen und wehte mir die Haare nach hinten, als würde ich bei weit geöffneten Fenstern im Pick-up von meinem Daddy mitfahren.
    Ich stand da in der Sonne, während die heiße Luft mich anblies, und suchte die rechte Seite des Klimageräts ab, bis ich nach oben hin einen kleinen Spalt im Fenster entdeckte, zwischen dem Beton und dem Sperrholz, durch den ein bisschen Licht von innen fiel. Ich suchte weiter nach einem Spalt, der tiefer war, aber ich fand keinen, also stellte ich mich auf die Zehenspitzen, packte das alte, morsche Fensterbrett und zog mich ein Stückchen höher, damit ich reinsehen konnte. Die Musik in der Kirche drang durch die Wand und dröhnte an meinen Knien.
    Ich hievte mich so hoch ich konnte, aber noch ehe ich auch nur einen Blick hineinwerfen konnte, sah ich etwas aus den Augenwinkeln. Ich ließ das Fensterbrett los, landete auf der Erde und trat zurück, sah dann einen zweiten Schatten an der Wand direkt neben meinem. Ich drehte mich um und wollte zum Wald laufen, aber noch bevor ich einen Schritt machen konnte, prallte ich mit der Nase gegen Joe Bills Brust, und er packte meine Schultern, damit ich ihn
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