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Fürchtet euch

Fürchtet euch

Titel: Fürchtet euch
Autoren: Wiley Cash
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drehten irgendwann durch, besonders wenn die Musik so dröhnte und die ganzen Leute tanzten und schrien und umhersprangen, Stühle umtraten und einander die Hand auflegten. Aber in all der Zeit – bis das mit Christopher passierte –, war überhaupt nur ein Mensch dabei ums Leben gekommen, zumindest weiß ich nur von einem Fall: Miss Molly Jameson, vor fast elf Jahren. Sie war neunundsiebzig, als es passierte, zwei Jahre jünger als ich jetzt. Ich denke, wahrscheinlich hat eine Mokassinotter sie erwischt. Molly stand vorne auf dem kleinen Podium, und Chambliss hob die Schlange aus der Kiste, schloss die Augen und betete mit dem Viech in den Händen. Damals war er höchstens fünfundvierzig, das schwarze Haar kurzgeschoren, als wäre er eine Zeitlang in der Army gewesen, was durchaus möglich war, schließlich wusste ich praktisch nichts über ihn. Ich glaube, kein Einziger von uns wusste genau, wo Chambliss herkam, und ich schätze, jeder, der behauptete, er wüsste es, war wahrscheinlich belogen worden. Als Chambliss genug gebetet hatte, übergab er die Schlange an Molly. Sie nahm sie so behutsam, als würde ihr jemand ein neugeborenes Kind reichen, diese Frau, die selber keine Kinder hatte, eine Witwe, deren Mann vor über zwanzig Jahren gestorben war, als er mit dem Traktor umkippte und an einem Baum zerquetscht wurde.
    Aber wie gesagt, sie hielt die Mokassinotter, als wäre sie ein Baby, und sie nahm ihre Brille ab und sah sich das Tier auch so genau an, als wäre es ein Baby, und dabei liefen ihr Tränen übers Gesicht, und ihre Lippen bewegten sich, als würde sie beten oder so leise reden, dass nur die Schlange es hören konnte. Um sie herum waren alle viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um auf sie zu achten. Die Gemeindemitglieder tanzten und fuchtelten in der Luft herum und schrien Worte, die außer ihnen keiner verstand. Aber Chambliss stand da und beobachtete Molly. Er hielt das Mikrofon ans Herz gedrückt, mit seiner Hand, die ganz schrecklich aussah, seit er sie sich Jahre zuvor im Keller von Ponders Futtermittelladen verbrannt hatte. Nach dem, was ich gehört hatte, waren er und einige Männer aus der Kirche da unten gewesen, hatten Lampenöl getrunken und auch irgendwas mit Feuer angestellt. Und ich weiß nicht genau, wie es dann passiert ist, aber irgendwie fing Chambliss’ Ärmel Feuer, und das Feuer fraß sich blitzschnell durch sein Hemd und verbrannte ihm den ganzen Arm. Später hieß es, ihm wären sogar die Finger zusammengeklebt und dass er sie auseinanderreißen und einzeln schienen musste, damit sie nicht zusammenwuchsen, während sie heilten. Ich habe nie seinen ganzen Arm gesehen, weil der Mann sich nie den rechten Ärmel hochkrempelte, vielleicht mal den linken, aber den rechten nie. Ich kann’s ihm nicht verdenken. Die rechte Hand war wirklich ein furchtbarer Anblick, auch nachdem sie verheilt war.
    Wie gesagt, er stand also dabei, während Molly die Schlange hielt, und sah zu, wie sie den Heiligen Geist in sich aufnahm, und als er das Gefühl hatte, sie wäre jetzt so richtig erfüllt davon, ging er zu ihr und legte ihr seine gesunde Hand auf den Kopf. Dann hob er das Mikrofon und betete hinein. Ich weiß noch genau, was er sagte, weil es das letzte Mal war, dass ich den Mann predigen hörte. Es war das letzte Mal, dass ich einen Fuß in die Kirche setzte, bis jetzt.
    Er sagte: »O lieber, gütiger Herr Jesus, nimm diese Frau und erfülle sie von Kopf bis Fuß mit Deinem Geiste. Erhebe uns in Deinem Namen, gütiger Herr.« Und als er das gesagt hatte, legte er ihr seine gesunde Hand unter den Ellbogen und half ihr, die Schlange hoch über den Kopf zu heben. Dann trat er ganz langsam zurück, und sie hielt das Tier so über sich, als wollte sie sichergehen, dass Gott es sah. Sie hatte die Augen fest geschlossen und trippelte auf der Stelle und bewegte den zuckenden Mund in einem Gebet, das sie wahrscheinlich noch nie zuvor in ihrem Leben gesprochen hatte.
    Es passierte, als sie die Mokassinschlange wieder herunternahm. Der erste Biss erwischte sie direkt unter dem linken Auge, genau auf dem Wangenknochen. Und als Molly sich das Viech vom Gesicht reißen wollte, biss es sie in die rechte Hand, zwischen Daumen und Zeigefinger, und ließ nicht mehr los. Molly schrie auf und schleuderte die Schlange herum, dass sie knallte wie eine Peitsche, aber das Tier war zu stark. Chambliss ließ sein Mikrofon fallen, und er und zwei von den Diakonen legten Molly auf das Podium. Sie hiel- ten
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