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Fünf Wochen im Ballon

Fünf Wochen im Ballon

Titel: Fünf Wochen im Ballon
Autoren: Jules Verne
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Sie keine Sorge, Herr Doctor, wir werden uns nicht trennen.«
    Der Victoria hatte jetzt etwa zwanzig Toisen an Höhe gewonnen, aber der Kamm des Berges ragte immer noch weit über ihn hinaus. Ein ziemlich gerader Bergrücken bildete den Abschluß einer zackigen, zerklüfteten Mauer, und dieser stieg noch mehr als zweihundert Fuß über den Reisenden empor.
    »In zehn Minuten wird unsere Gondel an den Felsen zerschellt sein, wenn es uns nicht gelingt, sie darüber hinweg zu schaffen, sprach der Doctor vor sich hin.
    – Nun, Herr Samuel? fragte Joe.
    – Hebe nur unsern Pemmican-Vorrath auf, und wirf all’ das schwere Fleisch hinunter.«
    Der Ballon wurde abermals um etwa fünfzig Pfund entlastet; er hob sich merklich, aber was half das, wenn er den Kamm der Berge nicht überstieg? Die Situation war schrecklich. Der Victoria eilte mit großer Geschwindigkeit; man merkte, daß er bei einem Zusammenstoß in Stücke fliegen würde.
    Der Doctor blickte sich in der Gondel um – sie war fast leer.
    »Wenn es sein muß, wirst Du Deine Waffen opfern, Dick.
    – Meine Waffen opfern? rief der Jäger bewegt.
    – Wenn ich Dich darum bitte, so ist es nothwendig.
    – Samuel! Samuel!
    – Deine Waffen, Deine Blei-und Pulvervorräthe können uns das Leben kosten!
    – Wir kommen näher, immer näher!« schrie Joe.
    Noch um zehn Toisen ging der Berg über den Victoria hinaus! Joe nahm die Decken und warf sie hinab; auch schleuderte er, ohne Kennedy etwas davon zu sagen, mehrere Säcke mit Kugeln und Blei hinunter.
    Der Ballon stieg wieder; er überschritt die gefährliche Klippe, und sein oberer Pol wurde von den Strahlen der Sonne beleuchtet. Aber die Gondel befand sich noch unter den Felsblöcken, an denen sie unvermeidlich zerschmettern mußte.
    »Kennedy! Kennedy! rief der Doctor; wirf Deine Waffen fort, oder wir sind verloren.
    – Warten Sie, Herr Dick, warten Sie!« sagte Joe.
    Und Kennedy, der sich nach ihm umwandte, sah ihn außerhalb der Gondel verschwinden.
    »Joe! Joe! schrie er.
    – Der Unglückliche!« sprach der Doctor.
    Der Kamm des Berges mochte an dieser Stelle etwa zwanzig Fuß breit sein, und auf der andern Seite zeigte der Abhang eine geringere Abschüssigkeit. Die Gondel kam gerade auf das Niveau dieses ziemlich gleichmäßigen Plateaus zu, und glitt über einen, mit spitzigen Kieseln besäeten Boden hinweg.
    »Wir segeln darüber hin! wir sind glücklich hinüber!« rief jetzt eine Stimme, bei der Fergusson’s Herz frohlockte.
    Der kühne Bursche hielt sich mit den Händen am untern Rande der Gondel fest; er lief zu Fuß auf dem Gebirgskamme hin, indem er so den Ballon um die Gesammtsumme seines Gewichts erleichterte; er mußte diesen sogar mit aller Kraft festhalten, denn derselbe strebte danach, ihm zu entweichen.
    Als das Luftschiff am entgegengesetzten Abhang angekommen war, und ein tiefer Abgrund sich vor Joe öffnete, schwang sich dieser mit einer gewandten Bewegung empor, kletterte an den Stricken weiter und stieg wieder in die Gondel ein.
    »Nichts leichter als das! warf er hin.
    – Mein braver Joe, mein Freund! sprach der Doctor weich.
    – O, was ich eben gethan habe, geschah nicht für Sie, Herr Doctor, sondern nur für Herrn Dick’s Carabiner! Seit der Geschichte mit dem Araber war ich ihm das schuldig, und ich pflege meine Schulden zu bezahlen; jetzt sind wir quitt … Mit diesen Worten reichte er dem Jäger seine Lieblingswaffe hin … Es hätte mir zu weh gethan, mit anzusehen, wie Sie sich davon trennten.«
    Kennedy drückte ihm warm die Hand, ohne ein Wort hervorbringen zu können.
    Der Victoria brauchte jetzt nur immer zu fallen; das machte ihm keine Schwierigkeit; er war bald bis auf zweihundert Fuß vom Erdboden gesunken, und schwebte nun im Gleichgewicht. Das zerrissene Terrain bot zahlreiche Unebenheiten, denen man in der Nacht nicht gut aus dem Wege gehen konnte. Der Abend kam schnell heran, und trotz seines Widerstrebens mußte der Doctor sich entschließen, bis zum andern Tage Halt zu machen.
    »Wir wollen eine günstige Stelle als Obdach für die Nacht suchen, hub er an.
    – Ah! versetzte Kennedy, Du willst also endlich?
    – Ja, ich habe lange über einen Plan nachgesonnen, den ich jetzt zur Ausführung bringen werde. Es ist eben erst sechs Uhr, wir haben also noch genügend Zeit. Joe, wirf die Anker aus.«
    Joe gehorchte, und bald hingen die beiden Anker unter der Gondel.
    »Ich bemerke große Wälder, fügte der Doctor hinzu, wir werden über die Wipfel hinsegeln und den
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