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Fuchsjagd

Titel: Fuchsjagd
Autoren: Minette Walters
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Verständnis zu zeigen.
    Ihr war eine derart kategorische Zurückweisung eines anderen Menschen, noch dazu einer Frau, die ihr Kind nie kennen gelernt hatte, unvorstellbar. Du hast ihr dein Leben zu verdanken, sagte sie, als wäre das Grund genug, Kontakt zu einer Wildfremden aufzunehmen. Nancy war ein ganz nüchterner Mensch und wollte im Grunde nur nicht, dass Mary sich auf etwas einließ, dessen Konsequenzen nicht abzusehen waren. Aber sie brachte es wie immer nicht fertig, sich den Wünschen ihrer weichherzigen Mutter zu verschließen. Marys liebenswerteste Eigenschaft war es, in jedem nur das Beste zu sehen, auch wenn sie dabei immer wieder schmerzhaft enttäuscht wurde.
    Und hier, fürchtete Nancy, wartete schon die nächste Enttäuschung. Zynisch betrachtet, konnte diese »Aussöhnung« ihrer Meinung nach nur auf die eine oder die andere Art ausgehen – und aus eben diesem Grund hatte sie die Briefe des Anwalts ignoriert: Entweder sie würde sich mit ihrer leiblichen Mutter anfreunden, oder sie würde es nicht tun. Im einen wie im anderen Fall war nichts anderes zu erwarten als ein Haufen Schuldgefühle. Sie war überzeugt, dass im Leben eines Menschen nur für eine Mutter Platz war und die Einführung einer zweiten nichts als unnötige Komplikationen und emotionale Belastung mit sich bringen würde. Mary, die es sich nicht nehmen ließ, sich in die Lage der anderen Frau zu versetzen, sah das Dilemma nicht. Niemand verlangt von dir, dich zu entscheiden, argumentierte sie. So wie niemand von dir verlangt, dich zwischen mir und deinem Vater zu entscheiden. Jeder von uns liebt in seinem Leben viele Menschen. Warum sollte es in diesem Fall anders sein?
    Das war eine Frage, die erst hinterher beantwortet werden konnte, fand Nancy, und da würde es zu spät sein. Wenn erst einmal der Kontakt hergestellt war, würde er nicht wieder rückgängig gemacht werden können. Sie fragte sich, ob Mary von Stolz getrieben wurde. Wollte sie vor dieser Unbekannten prahlen? Und wenn ja, war das so verwerflich? Nancy war selbst durchaus nicht gefeit gegen die Genugtuung, die das bringen würde. Schau her, schau mich an, ich bin das Kind, das du nicht haben wolltest. Dies habe ich aus mir gemacht, ganz ohne deine Hilfe. Sie hätte vielleicht energischeren Widerstand geleistet, wenn ihr Vater da gewesen wäre, um ihr den Rücken zu stärken. Er, der als Kind selbst den Kämpfen zwischen Mutter und Stiefmutter ausgesetzt gewesen war, wusste mehr von der Dynamik der Eifersucht. Aber es war Erntezeit, er war draußen auf dem Feld, und so gab sie nach. Sie versuchte sich einzureden, es sei ja keine große Sache. Nichts im Leben ist jemals so schlimm, wie man insgeheim denkt.

    Mark Ankerton, der zum Warten verdammt im Wohnzimmer saß, fühlte sich zunehmend unbehaglicher. Der Name Smith sowie die Anschrift – Lower Croft, Coomb Farm – hatten ihn zu der Annahme verleitet, dass es sich bei den Leuten um Landarbeiter handelte, die in einem Gesindehaus auf dem Hof ihres Arbeitgebers lebten. Hier nun, in diesem Raum voller Bücher und bequemer alter Clubsessel, war er überhaupt nicht mehr sicher, dass die Verbindung zu den Lockyer-Fox', die er in seinen Briefen so betont hatte, bei der Adoptivtochter besonderen Eindruck machen würde.
    Über dem Kamin hing eine Landkarte aus dem neunzehnten Jahrhundert, die Lower Croft und Coomb Croft als zwei getrennte Anwesen zeigte. Auf der neueren Karte daneben waren sie zu einem großen Besitz verschmolzen, der nun Coomb Farm hieß. Da das ursprünglich zu Coomb Croft gehörige Haus direkt an einer Hauptstraße lag, hatte die Familie sich verständlicherweise im ruhiger gelegenen Lower Croft niedergelassen. Mark ärgerte sich über die Voreiligkeit, mit der er diese Leute, nur weil sie Smith hießen, als Landarbeiter abgetan hatte.
    Sein Blick schweifte immer wieder zum Kaminsims, auf dem die Fotografie einer lachenden jungen Frau in Robe und Barett den Ehrenplatz einnahm. »St. Hilda's College, Oxford, 1995« stand darunter. Das musste die Tochter sein. Das Alter stimmte, auch wenn sie keinerlei Ähnlichkeit mit ihrer törichten, puppigen Mutter hatte. Die ganze Geschichte war ein Alptraum. Er hatte eine Unschuld vom Lande erwartet – eine derbe, ungebildete Version Elizabeths –, stattdessen sah er sich einer Akademikerin gegenüber, die in Oxford ihren Abschluss gemacht hatte und deren Familie wahrscheinlich ebenso wohlhabend war wie die, welche er vertrat.
    Er stand auf, als die Tür
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