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Frettnapf: Roman

Frettnapf: Roman

Titel: Frettnapf: Roman
Autoren: Murmel Clausen
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Scheiß.«
    Ich drehe mich zu ihr um und erkenne sofort, dass es diesmal nicht mit einem Blumenstrauß und schön Essengehen getan sein wird. Jessi hat ihren Mantel an und eine gepackte Tasche neben sich stehen.
    » Fährst du weg?«, frage ich blöd, worauf sie mich nur schweigend anblickt.
    » Jetzt ernsthaft. Was wird das?«
    » Ich muss mal ein paar Tage raus hier«, setzt Jessi an. » Mir fällt die Decke auf den Kopf– und ich finde mich in letzter Zeit unausstehlich.«
    » Bist du nicht.«
    » Doch.«
    Eine erste Träne bildet sich in ihrem rechten Auge, das linke wird auch feucht. Ich kann kaum glauben, dass Jessi schon wieder heult. Normalerweise hat es bislang nur aus ihren Augen gesuppt, wenn wir vor Lachen nicht mehr konnten. Sie muss wirklich verzweifelt sein, und in mir gehen alle Alarmglocken los, denn Verzweiflung kommt von Zweifeln, und das kann sie nur an mir. Sie war in den vergangenen Wochen schon sehr gereizt, hat wegen Kleinigkeiten herumgestritten und mich immer wieder kritisiert. Meist auch zu Recht. Die Sache mit der dämlichen Klinik, meine Arbeit, mein Essverhalten, meine Disziplinlosigkeit, alles wurde irgendwann mal zum Thema. Doch es ist mir immer gelungen, alles runterzuspielen, ihr ein Gefühl von Sicherheit zu vermitteln oder mich selbst zu bessern. Zumindest kurzzeitig. Vielleicht hat sich da einfach was in ihr aufgestaut, vielleicht braucht sie nur etwas Abstand.
    » Mir wird gerade alles zu viel.«
    » Was genau?«
    » Das Baby, die Hochzeit, die ganzen Umstellungen.«
    » Helfe ich dir nicht genug?«
    » Doch, doch. Das hat nichts mit dir zu tun. Ich hab irgendwie ein Problem mit mir, und das will ich aussortieren.«
    » Alleine.«
    » Ja, du musst schließlich arbeiten und…«
    Sie bricht mitten im Satz ab und wischt sich die Tränen aus dem Gesicht. Ich könnte jetzt ehrlich sein und ihr sagen, dass ich eigentlich nicht wirklich was mache. Dass ich hier sitze und hoffe, sie merkt nicht, wie planlos ich gerade bin. Dass ich ihre Angst vor all den neuen Herausforderungen teile, vor allem die, für ein Kind verantwortlich zu sein. Doch irgendwas in mir hindert mich daran, vermutlich die Vernunft.
    » Und wo genau willst du hin?«, frage ich stattdessen.
    » Zu einer Freundin.«
    » Zu Mina?«
    » Ist doch egal.«
    Ist es nicht. Ich muss schließlich wissen, wo ich sie finden kann, falls was passiert. Immerhin ist sie im sechsten Monat schwanger. Jessi erwidert nur, dass sie mich schon erreichen wird, falls was sein sollte. Was soll in zwei, drei Tagen schon passieren?
    » Zwei, drei Tage also?«, frage ich nach.
    » Keine Ahnung. Vielleicht auch ein paar mehr. Mal sehen.«
    » Gut. Wenn ich irgendwas tun kann, sag mir Bescheid, ja?«
    » Natürlich.«
    » Und es liegt sicher nicht an mir?«
    Mein Magen hat sich inzwischen viermal gedreht, mir ist übel, schwindlig und kalt. Aus Jessis Zögern lese ich obendrein, dass ihre Krise sehr wohl mit mir zu tun hat. Dass ich das Problem bin und sie sich nur nicht traut, es auszusprechen, womöglich die Beziehung infrage zu stellen. Das überlassen die Frauen nämlich gerne uns Männern, um es uns später immer und immer wieder vorzuhalten. Sie selbst implizieren nur eine gewisse Unzufriedenheit, bis sie dann überraschend radikal einen Schlussstrich ziehen.
    » Ich liebe dich«, antwortet Jessi nach einer gefühlten Ewigkeit leise.
    » Dann bleib.«
    Sie schaut mich an, in ihren Augen spiegelt sich eine Hilflosigkeit, die ich von ihr so nicht kenne. Sie liebt und verlässt mich mit einem verzweifelten Lächeln, dem ich nur ein Stirnrunzeln entgegensetzen kann, denn dieses Paradoxon muss ich erst einmal verdauen. Oder wenigstens betäuben.
    » Und dann ist sie zurückgekommen, und ihr habt gevögelt?«, mutmaßt Sven, mit dem ich gerade mein fünftes Bier an diesem Abend trinke. Er hat eine Kneipe in der Innenstadt aufgetan, in der man in einem ausgehöhlten Baum an der Bar sitzen kann. Landhaus heißt sie, Baumhaus nennt er sie. Zudem kann man sich hier gut und günstig für einen Besuch im nahe gelegenen Atomic Café die nötige Gelassenheit antrinken, dessen Zielgruppe man mit achtunddreißig im Grunde schon wieder verlassen hat.
    » Nein, sie ist nicht zurückgekommen, und das ist vielleicht auch besser so, sonst nehme ich das ja nicht ernst«, antworte ich.
    » Und dein erster Beweis dafür, wie ernst du das nimmst, besteht darin, dich mit mir wegzuschießen?«
    » Nee. Ich hab vor dir schon Hondo gefragt, aber der hatte keine
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