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Fremder an meinem Ufer

Fremder an meinem Ufer

Titel: Fremder an meinem Ufer
Autoren: Lindsay Gordon
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London gelebt. Machen Sie Urlaub auf Mykonos, oder kommen Sie von einem Kreuzfahrtschiff?« Ihr eindringlicher Blick ließ meine Augen nicht los, was ein wenig verwirrend war.
    »Mykonos. Ich bin heute Morgen mit der ersten Fähre nach Delos übergesetzt.«
    »Allein? Oder mit Ihrer Freundin?«
    Junge, Junge, das war ziemlich direkt. Ich blinzelte. Natürlich war es leicht, diesen Fehler zu machen; auf der Party-Insel Mykonos gab es viele schwule Touristen.
    »Eigentlich wollte ich mit meinem Freund herkommen«, gestand ich und legte eine leichte Betonung auf das Geschlecht. »Das Problem ist nur, dass wir uns kurz vor dem Urlaub getrennt haben. Besser gesagt, ich habe ihm den Laufpass gegeben.«
    »Und dann sind sie allein hergekommen? Gefällt es Ihnen?«
    Ich zuckte die Achseln. »Ja, es ist großartig.«
    In Wahrheit war ich schockiert darüber, wie sehr mein Selbstvertrauen nach drei Jahren mit Lee von ihm abhängig war. Es hatte ein paar Abende gedauert, bis ich den Mut aufbrachte, in einen Club zu gehen.
    »Mögen Sie das Nachtleben?«, fragte sie, als hätte sie meine Gedanken gelesen.
    Innerlich zuckte ich zusammen. Jeder andere auf dieser Insel schien mit einer Schar Freunde unterwegs zu sein. In eine Gruppe von Frauen aufgenommen zu werden, war unmöglich; allerdings fiel es leicht, sich mit Typen anzufreunden – in demselben Sinn, wie sich eine Rinderhälfte mit einem Becken voll Piranhas »anfreunden« kann.
    »Ich bin kein großer Partygänger«, sagte ich und versuchte, lässig zu klingen.
    Mein erstes »zum Teufel mit Lee«-Urlaubsabenteuer war eine große Enttäuschung gewesen. Ich hatte nach Mitternacht einen Engländer mit aufs Zimmer genommen. Der Sex war in Minuten vorbei gewesen, und dann hatte er sich den Rest der Nacht schnarchend über das ganze Bett ausgebreitet. Am nächsten Morgen hatten wir uns nichts zu sagen gehabt. Mein aufregender Fremder vom Abend hatte sich als … nun ja, ganz gewöhnlicher Typ aus Sheffield erwiesen, nicht besonders gut aussehend und ganz bestimmt kein begnadeter Plauderer. »Tschüs dann«, hatte er gesagt und sich verdrückt. Tschüs dann! – ich bitte Sie!
    Verstehen Sie mich nicht falsch, ich bin nicht auf der Suche nach romantischer Liebe oder so etwas. Aber mir gefiel nicht, dass es so … gewöhnlich war.
    »Dann interessieren Sie sich eher für so etwas?« Ihre knappe Handbewegung umfasste das Museum, die Insel Delos und über dreitausend Jahre Geschichte. Sie hatte wunderschöne Hände mit langen Fingern.
    »Oh ja.« Warum nicht, dachte ich, und geriet dann in Panik, sie könnte meinen Bluff durchschauen. Eigentlich war ich hier, weil man auf Mykonos allein nicht viel unternehmen kann außer am Strand zu liegen oder die halbstündige Überfahrt nach Delos zu machen. »Ich meine, so viel Ahnung habe ich nicht und so …«
    Sie legte den Arm auf meine Schulter und kroch mit den Fingern in mein Nackenhaar. Mein Herz setzte einen Schlag aus, und ich erstarrte.
    »Ich könnte Sie auf der Insel herumführen«, erklärte sie. »Hätten Sie Lust dazu?«
    »Großartig«, antwortete ich wie betäubt. Ich habe eine ziemlich lange Leitung und reagiere nie schnell auf eine Überraschung. Hey, ich habe zwei Jahre gebraucht, um Lee endlich in die Wüste zu schicken.
    Ihre Hand legte sich fest um meinen Nacken. Eigentlich hätte ich ausflippen müssen; aber stattdessen war das Gefühl merkwürdig beruhigend. »Ich bin Phoebe.«
    »Ness.«
    »Gut.« Sie sah zu der Statue hoch. »Sind Sie hier drinnen fertig?«
    Ich nickte. Mein Herz machte unter meinem Brustbein komische Sachen. Phoebe ließ mich los, und ich folgte ihr wie ein Lamm und warf nur einen kurzen Blick zurück zu meinem Kouros . Ich tröstete mich mit dem Gedanken, dass es ohnehin eine Enttäuschung geworden wäre, wenn ich herumgegangen und einen Blick auf die Erhebung auf seiner Vorderseite geworfen hätte; griechische Statuen haben immer winzig kleine Schwänze.
    Phoebe kannte sich aus. Sie machte mit mir die Runde durch die Ruinen auf der kleinen Insel, beginnend mit einem Aufstieg auf den Mount Kythnos – eigentlich mehr ein Hügel, aber der Anstieg war steil, und vor dem Hintergrund der tiefblauen Ägäis erschien er größer als er wirklich war. Ich war froh, meinen Strohhut dabeizuhaben. Unter uns konnten wir die ausgegrabenen Ruinen sehen, die sich vom Hügel bis zum Hafen erstreckten, wo die Touristenschiffe lagen: das Theater, das Stadion, die Wohnbezirke, die zahlreichen Tempel griechischer und
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