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Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)

Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)

Titel: Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)
Autoren: Stefan Bollmann
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Brief die kalte Cousine an ihre Pflicht als »irdische Muse« zu erinnern: Sie solle den Poeten »mit den zärtlichsten Empfindungen« beseelen, ihn »mit großen Gedanken« anfüllen, anstatt »das göttliche Gedicht an seinem Wachstum zu verzögern«. Ob dieser Brief die Adressatin je erreichte, ist nicht verbürgt. Jedenfalls erwärmte sich die Cousine auch daraufhin nicht. Auf Betreiben ihres Bruders ging sie einige Jahre später eine Heirat mit einem Bankier und Fabrikbesitzer namens Streiber ein.
    Klopstock hingegen rückte, wenn auch mit Widerstreben, von der Vorstellung ab, das Heil von Welt und Dichtung und obendrein sein eigenes Glück von der Gegenliebe eines einzigen Mädchens abhängig zu machen. Auslöser dafür war eine Einladung des wohlhabenden Kaufmanns Heinrich Wilhelm Bachmann nach Magdeburg. Bachmann, ein bekennender Liebhaber der Wissenschaften und Künste, hatte ein großes Anwesen auf der Elbinsel Großer Werder, mit einem bezaubernden Garten, in dessen Häuschen die Gäste auch wohnen konnten. Dort ist im Sommer 1750 eine kleine Gesellschaft versammelt, handverlesene Gäste, die, wie sich alsbald herausstellt, allesamt Bewunderer von Klopstock und seiner Dichtung sind. Es sei »eine ungemein süße Sache«, schreibt Klopstock, kaum aus Magdeburg zurück, an seine Cousine Marie, »wenn man von liebenswürdigen Leserinnen zugleich geliebkoset und zugleich verehrt wird«. Natürlich möchte er mit dieser Schilderung ihre Eifersucht wecken. Doch es steckt mehr dahinter.
    Klopstock wird von den versammelten Gästen förmlich genötigt, aus seinem Messias vorzulesen, »mitten in einem Ringe von Mädchen, die entfernter wieder von Mannspersonen eingeschlossen wurden«. Besonders die Figur des zerknirschten Teufels Abadonna aus seiner Dichtung löst bei den anwesenden Mädchen und Damen zärtliche Mitleidsgefühle aus. Sie empfehlen den Reuevollen dem besonderen Schutz des Dichters; er solle ihm doch bitte die Seligkeit schenken. Der Hofprediger Sack macht sich zum Wortführer des weiblichen Versöhnungswunsches. Doch Klopstock lässt sich kein Versprechen abringen, das ihn seiner poetischen Freiheit berauben würde. Stattdessen setzt er seine Lesung mit einem weiteren Fragment aus dem Messias fort, das für alle Anwesenden erkennbar die eigene unglückliche Liebeserfahrung widerspiegelt. Die Zuhörer spüren, dass Klopstock seine ganze Leidenschaft und sein ganzes Elend in die vorgetragenen Verse gelegt hat. Schon bald können sie die Tränen nicht mehr zurückhalten. Ein Teilnehmer schreibt später, dass sie nicht nur weinen mussten, sondern beinahe zerflossen. Sie lassen sich ins Weinen fallen, weil etwas Inkommensurables sie in den Versen des Dichters anrührt, auf das sie keine andere Antwort wissen. Dichtung wird zum Medium der Mobilisierung von Gefühlen, insbesondere solchen, die ans Unsagbare und Erhabene rühren.
    Eine der anwesenden Damen, die Frau des Hofpredigers Sack, besitzt Abschriften seiner noch ungedruckten Oden. Es sind natürlich gerade jene, die von seiner unerwiderten Liebe erzählen. »Man bat, alles bat mich, ich sollte, ich sollte insonderheit zwo davon selbst vorlesen«, schreibt Klopstock, als würde er ob dieses Anliegens noch nachträglich ins Stottern geraten, und stößt einen tiefen Seufzer aus: »Wie hätte ich das aushalten können.« Schließlich trägt sie der fünf Jahre ältere Dichter Johann Wilhelm Ludwig Gleim vor. Klopstock verbirgt sich währenddessen »hinter den Reifröcken und Sonnenschirmen« der Damenwelt. Das Ergebnis: erneut Tränen. Klopstock sieht in die schwimmenden Augen um ihn herum, als blickte er auf die elysischen Gefilde des Paradieses. Nicht der Beifall, sondern die gemeinschaftlich dargebrachten Tränen sind das wahre Brot des Künstlers.
    Das sind Szenen, zu denen es noch hundert Jahre zuvor schwerlich gekommen wäre. Um 1650 trafen sich Männer und Frauen aus den besseren Kreisen zum ersten Mal auf Augenhöhe, um Literatur zu rezitieren und zu zelebrieren. Das geschah in großstädtischen schöngeistigen Zirkeln wie etwa dem des Pariser Hôtel Rambouillet. Dort hatte sich Catherine de Vivonne, die Frau des reichen Marquis de Rambouillet, in ihren Privatgemächern so etwas wie einen eigenen, exklusiven Hof geschaffen. Das Spektrum der literarischen Unterhaltungen reichte seinerzeit von Reimspielen und Stegreifdarbietungen über ein literarisches Duell in Sonetten bis hin zu reichlich spezialistischen Kontroversen über Fragen des
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