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Frankenstein

Frankenstein

Titel: Frankenstein
Autoren: Mary Wollstonecraft Shelley
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mich; tagsüber arbeitete ich oft
schwerer als die gewöhnlichen Seeleute und widmete die Nächte
dem Studium der Mathematik, der medizinischen Theorie und jener Zweige
der physikalischen Wissenschaft, aus denen ein Abenteurer zur See den
größten praktischen Nutzen ziehen könnte. Zweimal
heuerte ich sogar als Zweiter Offizier auf einem
grönländischen Walfänger an und bewährte mich
hervorragend. Ich muß gestehen, daß ich nicht wenig stolz
darauf war, als mir mein Kapitän den zweiten Rang auf dem Schiff
anbot und mich allen Ernstes dringend zu bleiben bat; für so
wertvoll hielt er meine Dienste.
Und, liebe Margaret, verdiene ich es jetzt nicht, eine große
Aufgabe zu vollbringen? Mein Leben hätte in Behagen und Luxus
verlaufen können; doch ich zog den Ruhm jeder Verlockung vor, die
der Reichtum mir in den Weg legte. O würde doch eine ermutigende
Stimme meine Frage bejahen! Mein Mut und meine Entschlossenheit sind
fest; doch meine Hoffnungen steigen und fallen, und meine Stimmung ist
oft gedrückt. Ich bin im Begriff, eine lange und beschwerliche
Reise anzutreten, deren unerwartete Notfälle meine ganze
Standhaftigkeit beanspruchen werden: ich muß nicht nur den Mut
anderer aufrechterhalten, sondern manchmal meinen eigenen bewahren,
wenn der ihre sie verläßt.
In Rußland ist das jetzt die günstigste Zeit zum Reisen. In
ihren Schlitten sausen sie über den Schnee; diese Fortbewegung
behagt mir und ist meiner Meinung nach viel angenehmer als die einer
englischen Postkutsche. Die Kälte ist nicht unerträglich,
wenn man im Pelze gehüllt ist – eine Bekleidung, die ich
bereits übernommen habe; denn es besteht ein großer
Unterschied zwischen dem Umhergehen an Deck und dem stundenlangen
bewegungslosen Sitzen, wenn keine körperliche Ausarbeitung das
Blut davor bewahrt, einem buchstäblich in den Adern zu gefrieren.
Ich habe nicht den Ehrgeiz, auf der Postroute zwischen St. Petersburg
und Archangelsk ums Leben zu kommen.
In vierzehn Tagen oder drei Wochen mache ich mich nach letzterer Stadt
auf; ich habe vor, mir dort ein Schiff zu mieten, was sich leicht
machen läßt, indem man für den Eigentümer die
Versicherung bezahlt, und von Seeleuten, die den Walfang gewöhnt
sind, so viele anzuheuern, wie ich für notwendig halte. Ich
gedenke nicht vor dem Juni abzureisen; und wann kehre ich zurück?
Ach, liebe Schwester, wie kann ich diese Frage beantworten? Wenn ich
Erfolg habe, vergehen viele, viele Monate, vielleicht Jahre, ehe Du und
ich uns wiedersehen. Wenn ich einen Fehlschlag erleide, siehst Du mich
bald wieder, oder niemals.
Lebewohl, meine liebe, treffliche Margaret. Der Himmel schütte
seinen Segen über Dich aus und stehe mir bei, auf daß ich
Dir immer und immer wieder meine Dankbarkeit für all Deine Liebe
und Güte beteuern kann.
Dein Dich liebender Bruder
R. Walton

Zweiter Brief
    An Mrs. Saville, England Archangelsk, 28. März 17.
Wie langsam hier die Zeit vergeht, wenn man wie ich von
Frost und Schnee eingeschlossen ist! Doch ist ein zweiter
Schritt zur Vorbereitung auf mein Vorhaben getan. Ich habe
ein Schiff gemietet und bin dabei, meine Seeleute zu sammeln;
diejenigen, die ich schon angeheuert habe, scheinen Männer
zu sein, auf die ich mich verlassen kann, und besitzen zweifellos verwegenen Mut.
Doch an etwas leide ich Mangel, und daß mir dessen Befriedigung noch nie zuteil wurde, empfinde ich jetzt als ganz
schlimmes Übel. Ich habe keinen Freund, Margaret: wenn ich
von der Begeisterung des Erfolgs glühe, wird keiner da sein,
der mein Glück teilt; wenn mich die Enttäuschung befällt,
wird niemand sich bemühen, mich in meiner Niedergeschlagenheit zu trösten. Ich werde meine Gedanken dem Papier
anvertrauen, gewiß. Doch das ist ein armseliges Mittel zur
Mitteilung von Gefühlen. Ich wünschte mir die Gesellschaft
eines Menschen, der mit mir sympathisieren könnte, dessen
Augen den meinen Antwort gäben. Du magst mich für romantisch halten, meine liebe Schwester, aber ich empfinde es bitter, eines Freundes zu entbehren. Ich habe niemanden bei mir,
sanft und doch mutig, mit einem kultivierten und zugleich
umfassenden Geist, dessen Neigungen den meinen entsprächen, der meine Pläne gutheißen oder vervollkommnen könnte. Wie würde ein solcher Freund die Fehler Deines armen Bruders ausgleichen! Ich bin zu hitzig bei der Verwirklichung und zu ungeduldig gegenüber Schwierigkeiten. Doch es ist ein noch größeres Unglück für mich, daß ich mich selbst gebildet habe; die ersten vierzehn
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