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Flusskrebse: Roman (German Edition)

Flusskrebse: Roman (German Edition)

Titel: Flusskrebse: Roman (German Edition)
Autoren: Martin Auer
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ein Philosoph und Volksbildner. Er hat sich sehr für die Bildung der Mädchen eingesetzt, das war im 19. Jahrhundert keine Selbstverständlichkeit.“
    „Ja, Volksbildner müssten wir auch in Afrika haben. Was wir brauchen ist Bildung. Bildung ist das einzige, was uns retten kann. Mein Vater war Lehrer. Er hat sich sehr für die Bildung eingesetzt. Er wollte, dass alle Kinder in die Schule kommen. Er hat die Kinder auch dann unterrichtet, wenn die Eltern die Motivation nicht zahlen konnten.“
    „Die Motivation? Was ist das?“
    „Sehen Sie, das Gehalt, das die Lehrer vom Staat bekommen haben, das war wegen der Geldentwertung nur mehr 4 oder 5 Dollar wert. 5 Dollar im Monat, davon kann niemand leben. Da mussten die Eltern der Kinder eben eine Motivation zahlen, damit man dann auf 30, 40 Dollar im Monat gekommen ist. Später ist überhaupt kein Geld von der Regierung mehr gekommen. Ich glaube, als ich so neun Jahre alt war, hat mein Vater das letzte Mal ein Gehalt bekommen. Aber wenn mein Vater gesehen hat, da ist ein Kind, das ist schon acht Jahre, neun Jahre, und geht noch immer nicht in die Schule, dann ist er hingegangen und hat mit den Eltern geredet. Und wenn er gesehen hat, dass die Eltern wirklich nichts zahlen können, hat er gesagt: ‚Schickt das Kind in die Schule, aber sagt niemand, dass ihr nichts bezahlt habt.’ Aber natürlich haben andere doch davon erfahren und haben sich beschwert und haben gesagt: ‚Wir sind auch arm, warum sollen wir zahlen?’ Da hat er ihnen gesagt, dass die Kinder, die nichts bezahlen, schlechtere Noten bekommen. Aber in Wahrheit hat er jedem Kind die Note gegeben, die es verdient hat.
    Mein Vater hat sich sehr für die Bildung eingesetzt. Aber was sollte er machen, ohne Schulbücher, ohne Hefte? Die Kinder konnten nur an der Tafel schreiben üben. Oder er hat ihnen etwas an die Tafel geschrieben und dann haben sie es im Chor gelesen. Er hat Lieder mit uns gelernt und mit uns gebetet und uns viele Geschichten erzählt. Er hat uns vom Königreich Kongo erzählt. Wussten Sie, dass der König des Kongo im 15. Jahrhundert Portugal besucht hat? Mein Vater hat uns vom Sklavenhandel erzählt und von der Berliner Konferenz 1884, als die europäischen Mächte Afrika unter sich aufteilten und der König von Belgien den Kongo als Privatbesitz übernahm. Wie die Belgier die Eisenbahnen gebaut haben und die Menschen zur Zwangsarbeit verpflichtet haben. Für jede Eisenbahnschwelle ist ein Mensch gestorben. Und wenn jemand versucht hat, der Zwangsarbeit zu entgehen, haben sie ihm die rechte Hand abgehackt. Er hat uns ein Buch gezeigt mit Bildern. Da war eine Postkarte, lauter Frauen und Männern mit Armstümpfen. Er hat uns erzählt, wie Lumumba bei der Unabhängigkeitsfeier dem belgischen König die Wahrheit ins Gesicht gesagt hat, so dass der König gleich abreisen wollte. Solche Geschichten hat er uns erzählt.
    Mein Vater hat eine große Blechkiste gehabt. Da drin war sein Schatz: seine Bücher. Die hatte er noch von der Missionsschule. Ein Pater an der Schule hatte ihm die meisten davon geschenkt, hat er mir erzählt. Weil er so ein begabter Schüler war. Am Samstag Abend hat er die Kerosinlampe angezündet und hat ein Buch hervorgeholt und vorgelesen. Oft hat sich das halbe Dorf in unserem Haus versammelt, nicht nur die Kinder, auch die Großen. Er hat
Die Elenden
von Victor Hugo vorgelesen und den
Glöckner von Notre Dame
. Er hat zuerst auf Kinyarwanda erzählt, was im folgenden Kapitel passiert, und dann hat er auf Französisch vorgelesen. So haben ihm alle gespannt zugehört, auch die, die nur wenig oder gar kein Französisch verstanden haben. Mein Vater konnte sehr gut vorlesen und sie haben der Melodie seiner Stimme gelauscht. Aber am besten war es, wenn er Dramen vorgelesen hat. Er hatte alle Shakespeare-Dramen:
Macbeth
,
Richard III
,
Othello, Der Kaufmann von Venedig…
Wenn wir Kinder gespielt haben, dann waren wir der Prinz von Wales und der Herzog von Gloucester und haben mit Ästen gefochten. Und wir haben in der Schule sehr fleißig Französisch gelernt, damit wir am Samstag Abend alles verstehen. Manchmal hat mein Vater auch nicht vorgelesen, sondern Märchen auf Kinyarwanda erzählt. Vom schlauen Hasen Bakame, der alle hereinlegt. Oder wie Gott den BanyaMulenge alle Rinder der Welt als Eigentum gegeben hat.“
    „Warten Sie. Die BanyaMulenge , das sind Sie – Ihr Volk, ja?“
    „Ja.“
    „Und Ihnen gehören alle Rinder? Gott hat sie Ihnen gegeben?“
    Der
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