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Flugasche

Flugasche

Titel: Flugasche
Autoren: Monika Maron
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kaputt.« Stimmt, Ida, das lerne ich wohl nie. Ich muß sogar allein die Kohlen holen. Und prompt geht bei der Rickertschen die Tür auf. »Fräulein Nadler«, sagt sie. Wenn ich das schon höre. Dreißig Jahre alt, Mutter eines fünfjährigen Kindes, geschieden und Fräulein. »Fräulein Nadler, die Hausgemeinschaft baut heute das Zäunchen für den Vorgarten.« Ob ich vielleicht beim Streichen helfen könnte. Nein, kann ich nicht, will ich auch nicht. Ich brauche kein Zäunchen. Warum diese Leute unentwegt Zäune bauen, um dieses Gärtchen und jenes Höfchen, am besten um jedes Bäumchen. »Ich bin alleinstehend mit Kind«, sage ich, registriere meine Inkonsequenz, und die Rickertsche kneift ihren Mund zusammen, so daß zwischen Oberlippe und Nase lauter senkrechte Falten stehen und sie aussieht wie eine Ziege. »Vorgestern um siebzehn Uhr hat ein Mann bei Ihnen geklingelt, aber nicht der große dunkle mit dem Bart«, sagt sie und verschwindet wieder hinter ihrer Tür. Ich höre, wie sie die Kette vorhängt.
    Und am Abend pünktlich um acht wird sie die Haustür zuschließen. Nach acht sind wir nicht mehr zu sprechen. Da sperren wir uns ein in unsere Höhlen oder sperren uns aus – aus der Menschengesellschaft. Da hilft kein Klopfen, lieber Freund, und auch kein Rufen, die Autos überschreist du nicht. Geh nach Hause. Ordnung muß sein.
    Als mein Atem sich nicht mehr in Dampfschwaden verwandelt, gehe ich in den Kindergarten.
    »Mama!« Ein gewaltiger Ansturm gegen meinen Körper, feste, warme, weiche Haut, das berauschende Gefühl, unersetzlich zu sein, das Liebste, nicht wegdenkbar, das große Glück eines anderen. Ich weiß, die Ernüchterung kommt gleich: »Was hast du mir mitgebracht?« Aber ich habe vorgesorgt, will keine Freude verderben, seine nicht und meine nicht. Ich lege den roten Traktor auf die Opferbank unserer Liebe und werde belohnt mit einem gellenden Freudenschrei: »Mama, du bist lieb.«
    Auf der Straße frage ich: »Na, gehen wir noch ein Bier trinken?«
    Ein kurzer Blick zur Verständigung, Antwort mit tiefster Stimme: »Ja, ich trinke ein ganz großes Bier.« Ein Passant dreht sich um, der Sohn kichert: »Der Mann denkt bestimmt, ich trinke wirklich Bier.«
    Wir bestellen Eis und Kaffee.
    »Der Andreas hat mich gehaun.«
    »Hau ihn doch wieder.«
    »Der ist aber größer.«
    »Na und? Vielleicht ist er schwach.«
    »Nein, aber er kann nicht so schnell rennen, da renn ich lieber weg.«
    »Wiederhaun ist aber besser.«
    »Ich habe aber Angst.«
    »Mach ihm auch angst. Sag, wenn du ganz wütend bist, kannst du Feuer spucken.«
    Der Sohn ist begeistert, führt vor, wie er Feuer spucken wird, spuckt statt dessen Eis über den Tisch.
    Abends im Bett fragt er: »Kann ich wirklich Feuer spucken?«
    »Ja, wenn du ganz schrecklich wütend bist, bestimmt.«
    »Und du?«
    Ich? Nein, bedaure. mit Zauberkräften kann ich nicht dienen, davon kann ich nur reden. Armes Kind.
    »Ja. Ich auch«, sage ich.
    Als der Sohn schläft, hängt im Raum jene beängstigende, unausgefüllte Stille, die Unruhe verbreitet, die provoziert; abgebrochenes Leben. Ich lege eine Schallplatte auf, böhmische Barockmusik, empfinde heute keine Verwandtschaft, versuche es mit Chopin, aber es bleibt das beängstigende Gefühl, irgendwo geschieht etwas, lebt es, lebt es an mir vorbei. Ich versäume Menschen, Ereignisse, Tage. Weiß dabei längst, wie es endet, wenn ich einem Tag Gewalt antun will, mich nicht abfinden kann mit seinem geplanten, normalen Verlauf, nicht mein Leben suche, sondern ein anderes, fremdes, wenn ich plötzlich, todmüde eigentlich, die Wohnung verlasse, in irgendein Lokal fahre, in dem ich Freunde vermute, und eine Stunde später wieder nach Hause komme, ohne ein Erlebnis reicher, aber um zwanzig Mark ärmer, die ich für ein Taxi bezahlt habe.
    Eines Tages gründe ich mein Haus, ein großes Mietshaus, in dem nur Leute wohnen, die miteinander befreundet sind. Nicht so eine künstliche Hausgemeinschaft, die immer nur Zäunchen baut und in der jeder Mühe hat, sich seine Nachbarn schönzugucken. Acht oder neun oder zehn Parteien, jeder hat seine eigene Wohnung, man kann allein sein, muß aber nicht. An den Türen hängen Schilder, auf der einen Seite rot, auf der anderen grün. Bei Grün darf man klingeln, Rot heißt: nicht stören. Zu Weihnachten und zu Geburtstagen kocht jede Wohnung einen Gang. Der Boden wird ein Spielzimmer für die Kinder. Niemand muß von einer Dienstreise in eine kalte Wohnung kommen. Und
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