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Fliehkräfte (German Edition)

Fliehkräfte (German Edition)

Titel: Fliehkräfte (German Edition)
Autoren: Stephan Thome
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ist unsere Zeit, weißt du. Die Nixons sind bald alle weg.«
    »Oh ja«, sagt er. »Auf jeden Fall. Keine Frage.«
    Die Trompete hält den Ton und lässt ihn langsam lauter werden. Seine Gedanken gehen darin unter. Sandrines Gesichtkommt näher, und draußen fällt Schnee, als würde der Winter ewig dauern.

1 »Was ist das für eine Frage?« Mit einem Ruck steht Peter Karow auf, und zum ersten Mal liegt Ungeduld in seiner Stimme. Ein Anflug von Gereiztheit, den er lächelnd zu kaschieren versucht. Er kommt um den Schreibtisch herum, dann stehen sie einander gegenüber in jenem wechselseitigen Unverständnis, das seit einer Stunde von Peters wortreicher Jovialität überdeckt wird. Zwei nicht mehr junge Männer, die unterschiedlicher kaum sein könnten und deren guter Wille wenig findet, woran er sich bewähren kann. Was tun wir hier, denkt Hartmut und weiß, dass auch ihm die Anspannung anzumerken ist. Den vor zwanzig Minuten angebotenen Kaffee hat er immer noch nicht bekommen. Schon den ganzen Morgen sitzt ihm ein nervöser Reizhusten in der Kehle und zwingt ihn häufiger als sonst, sich zu räuspern.
    »Ich meine nicht, ob es Regeln gibt «, sagt er. »Ich versuche mir vorzustellen, wie es sein würde. Das ist alles.« Sein hartnäckig beibehaltener Konjunktiv, mit dem er zu Peters wachsendem Verdruss ihre Unterhaltung gängelt.
    »Verstehe. Okay.« Peter legt ihm eine Hand auf die Schulter, öffnet mit der anderen seine Bürotür und deutet den Flur hinab. »Soll ich dir was zeigen, das dir helfen kann, eine genauere Vorstellung zu entwickeln?«
    Ein paar Mitarbeiter sehen durch Glaswände in ihre Richtung. Die nächste Tür steht halb offen, und Peter schiebt Hartmut in einen weiß getünchten leeren Raum, aus dessen großflächigen Fenstern der Blick über die Dächer des Viertels geht. Helle Wolkentupfer stehen über Berlin wie eine Armada wartender Luftschiffe. Das schwarze Kuppeldach muss zu einem Bau auf der Museumsinsel gehören, aber es ist lange her, dass er sich hier ausgekannt hat. Im Ostteil der Stadt eigentlich nie.
    »Bitte sehr. Größer als meins.«
    »Hier würde ich arbeiten?« Um sich von der Hand auf seiner Schulter zu befreien, macht Hartmut einen Schritt in das Zimmer hinein. Wie in allen Räumen von Karow & Krieger riecht es nach frischer Tapetenfarbe, Laminat und neuen Büromöbeln. Ein synthetischer, angenehm kühler Geruch, der die gesamte Etage durchweht und zur Stimmung unter den jungen Mitarbeitern passt: professionell und klar. In diesen Räumen herrscht ein ruhiger Elan, der nicht Bedenken wälzen, sondern etwas auf die Beine stellen will.
    »Wenn du Wünsche hast«, sagt Peter hinter ihm, »das Mobiliar oder andere Dinge betreffend, nur raus damit. Du sollst dich wohl fühlen bei uns.«
    Bisher besteht die Einrichtung nur aus einem großen Schreibtisch samt Drehstuhl. Beide Seitenwände werden von Regalen eingenommen, auf denen die elegant hochformatigen Publikationen des Verlags ausliegen. Ein von Lamellen verdecktes Fenster zeigt zum Flur, daneben lehnt Peter Karow und beobachtet ihn mit verschränkten Armen. Zur dunkelblauen Jeans trägt er ein weißes Seidenhemd und sieht jünger aus als fünfundfünfzig. Immer noch blonde Haare, blaue Augen und um die schmalen Lippen eine Andeutung von Überheblichkeit, die zum Typ passt und daher nicht unsympathisch wirkt. Hartmut lässt sich auf dem Schreibtischstuhl nieder, dessen Hydraulik ein leises Seufzen von sich gibt. Er weiß, dass er jetzt etwas sagen muss, und ist froh, als Peters Assistentin Nora Velasquez hereinkommt und ihm endlich den Espresso und ein Glas Wasser bringt. Seine Kehle ist so trocken, dass er glaubt, einen Hustenanfall zu bekommen, wenn er nur den Mund öffnet.
    »Lieber Herr Hainbach, tut mir leid, dass es so lange gedauert hat. Wir brauchen dringend eine neue Maschine.« Sie ist groß gewachsen und schlank, die leicht geknickte Nase verleiht ihrer Schönheit einen dominanten Zug. Im Ausschnitt der engen Bluse sieht Hartmut ein Kreuz baumeln, als sie das kleine Tablett vor ihm abstellt.
    »Ich bekomme keinen?«, fragt Peter.
    »Du bekommst alles, was du willst. Aber wenn ich dir noch einen bringe, ruft Erwin mich heute Abend an und sagt: Norchen, wir hatten doch eine Abmachung.« Dank hoher Absätze überragt Nora ihren Chef um ein paar Zentimeter und scheint das zu genießen.
    »Ich weiß deine Besorgnis zu schätzen, Liebling. Machst du mir bitte einen.«
    »Wie du meinst.«
    Aus den Augenwinkeln sieht Hartmut,
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