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Fliehganzleis

Fliehganzleis

Titel: Fliehganzleis
Autoren: Frederike Schmöe
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Hintergrund herum, eine dicke Leica schussfertig im Arm.
    Alex brachte eine Violine mit und spielte am offenen Grab ›Strangers In The Night‹. Die Spätsommersonne brachte die Blumenbouquets zum Leuchten. In meinen schwarzen Kleidern war mir unerträglich warm.
    »Sie kommen doch noch mit zum Tröster?«, fragte Milena, nachdem alle am Grab vorbeidefiliert waren.
    »Ich würde gern die Skizzenbücher sehen, die Rosa Finkenstedt Larissa überlassen hat.«
    »Keine Chance. Die sind sicher wie in Abrahams Schoß.« Sie wies mit dem Daumen hinter sich, wo die Friedhofsgärtner dabei waren, Larissas Grab zuzuschaufeln.
    »Sie haben … sie in den Sarg gelegt?« Mir blieb die Spucke weg.
    »Außerdem sind Sie nicht die Erste, die danach fragt. Der Herr mit der Geige wollte sie auch haben. Ist mir lieber, wenn keiner sie kriegt.« Milena ließ mich stehen. So betrat ich ein letztes Mal das Schloss Rothenstayn, wo diese seltsame Geschichte begonnen hatte.
    Nach dem Kaffee ging ich in den Park. Torn kam mir nach.
    »Sie haben Larissa ausgeschleust. Im Auftrag des M f S «, sagte ich.
    »Wie kommen Sie darauf?«
    »Weil die Stasi Larissas zweite Flucht eingefädelt hat. Larissa hatte sich als IM verpflichtet. Im Gegenzug kam sie aus dem Zuchthaus und durfte ausreisen. Aber offiziell wollte man vor der Gruppe um Gerrit Binder den Mythos aufrechterhalten, dass sie illegal in den Westen gekommen war. Sonst hätten die Fluchthelfer Verdacht geschöpft. Die Stasi hat Sie bezahlt.«
    Torn starrte mich völlig verdattert an. Wir schwiegen einige Minuten.
    »Geschäftlich machte es allerdings keinen Unterschied für Sie«, fügte ich schließlich hinzu. »Nur dumm, dass Larissas Flucht die Flugzeugtour hat auffliegen lassen.«
    Chris Torn scharrte mit den Füßen im Laub. Ein Windstoß ging durch den Park, Ahornblätter trudelten an uns vorbei auf das Gras.
    »Die Stasiakten, die ich einsehen konnte, waren nicht vollständig. Auch über Bundesbürger und westliche Ausländer wurden Akten angelegt. Die Abteilungen der Stasi arbeiteten spiegelbildlich zu ihren Aufgaben in der DDR auch in der Bundesrepublik. Aber ein gewaltiger Teil Akten ist 1990 geschreddert worden, und zwar ohne Bearbeitung. Noch vor dem 3. Oktober. Vernichtet wurden Akten, die hauptsächlich Abhördaten von Bundesbürgern enthielten. Das Papier wurde einfach in den Reißwolf geworfen. Vielleicht hätte ich ja sonst … «
    »Sie glauben, dass Unterlagen über Sie dabei waren?«
    »Das ist nicht wichtig«, sagte Torn. »Was mich beunruhigt, sind Gerüchte, die damalige Regierung unter Helmut Kohl habe diese Akten vernichten lassen.«
    »Wie kommen Sie darauf?«
    »Keine Fantasie, Frau Laverde. Das stand in den Zeitungen. Die CDU - FDP -Regierung hat neun Monate nach der deutschen Einheit dem Innenausschuss des Bundestages lapidar mitgeteilt, die Akten seien futsch.«
    »Soweit ich weiß, haben DDR -Bürger im Winter ’89/’90 die Stasi-Zentralen besetzt, um zu verhindern, dass Akten vernichtet wurden«, wandte ich ein.
    Torn lächelte. »Ja, das waren mutige Leute. Aber wir alle wissen, dass das Vernichtungswerk nicht aufgehalten werden konnte. Eine Menge Informationen sind im Schlund der Geschichte untergegangen. Ob von höchster Stelle angeordnet oder durch den vorauseilenden Gehorsam eines buckligen Archivars. Man hat sich damit zu versöhnen. Sonst wird man verrückt.« Er blickte auf seine rechte Manteltasche, in der sein Armstumpf ruhte. »Zudem können Sie den Stasiakten nicht trauen. Wahres steht zwischen Halbwahrem, Fakten neben Einbildungen. Diese Texte sind durchzogen von Paranoia und Ideologie.«
    »Verraten Sie mir, weshalb Sie Reinhard Finkenstedt unter Beobachtung hatten?«
    »Das können Sie sich doch selber denken.«
    »Sannen Sie auch auf Rache?«
    Torn grinste. »Ich würde sagen, Finkenstedt und ich sicherten beide unsere Territorien. Man sollte immer bereit sein. Immer auf der Hut.« Er berührte sanft meinen Arm. »Ich wollte Sie warnen. Deshalb habe ich Sie neulich ins Hilton bestellt. Das haben Sie schon kapiert, oder?«
    Ich nickte trotzig.
    Noch in der Nacht kehrten Nero und ich zurück in mein Haus.

     
    Am Sonntag wachte ich früher auf als gewöhnlich. In meinem Kopf sauste und brauste es. Ich hüpfte aus dem Bett, brühte Kaffee auf und kramte in der Tiefkühltruhe nach Croissants. Dabei sang ich lauthals vor mich hin. ›What Shall We Do with a Drunken Sailor‹.
    Über Nacht waren die Alpen näher gerückt. Föhn. Wie üblich bei
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