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Fieber

Titel: Fieber
Autoren: Robin Cook
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Die beiden hatten sich gestritten, welcher Sender nun gehört werden sollte. »Ein bißchen stille Besinnung ist eine gute Art, den Tag zu beginnen.«
    Ihr Weg führte sie am Pawtomack River entlang, und von Zeit zu Zeit sahen sie den Fluß, wie er sich durch das Land schlängelte. Je weiter sie sich Shaftesbury näherten, desto heftiger wurde der Gestank von der Recycling-Anlage. Das erste, was sie von der Stadt sahen, war der Schornstein der Fabrik, der schwarze Qualmwolken in den Himmel spie. Ein durchdringender Pfeifton zerriß die Stille, als sie die Fabrikanlagen erreicht hatten. Es war das Signal für den Schichtwechsel.
    Als sie die Fabrik hinter sich gelassen hatten, war auch der Geruch wie durch ein Wunder verschwunden. Als sie die Main Street weiter hinauffuhren, waren zu ihrer Linken die verlassenen Fabrikanlagen zu sehen. Nicht ein Mensch war auf der Straße. Es war wie in einer Geisterstadt um sechs Uhr dreißig morgens. Drei verrostete Stahlbrücken überspannten den Fluß, auch sie Überreste der Industrialisierung vor dem großen Krieg. Es gab sogar eine überdachte Brücke, aber niemand benutzte sie. Das wäre auch lebensgefährlich gewesen, und sie wurde nur für die Touristen erhalten. Die Tatsache, daß noch nie ein Tourist Shaftesbury besucht hatte, war den Stadtvätern noch nie in den Sinn gekommen. Jean Paul stieg bei seiner High-School am Nordende der Stadt aus. Die Schnelligkeit, mit der er sich verabschiedete, verriet seine Ungeduld, endlich den Tag beginnen zu können. Sogar zu dieser frühen Stunde wartete eine Gruppe von Freunden auf ihn. Gemeinsam gingen sie in das Schulgebäude. Jean Paul war Mitglied der Basketballmannschaft. Sie hatten ihr Training vor Unterrichtsbeginn. Charles sah seinem jüngeren Sohn hinterher, bis er in dem Gebäude verschwunden war. Dann lenkte er den Wagen zurück auf die Straße und setzte die Fahrt nach Boston fort. Erst in Massachusetts wurde der Verkehr dichter.
    Auf Charles hatte Autofahren eine hypnotische Wirkung. Gewöhnlich verloren sich seine Gedanken in den komplexen Verhältnissen von Antigenen und Antikörpern, der Entstehung und dem Aufbau von Proteinen, während niedere Teile seines Gehirns den Wagen durch den Verkehr lenkten. Aber heute fand er keine Ruhe. Chucks Schweigen machte ihn zunehmend nervös. Charles versuchte sich vorzustellen, was im Kopf seines ältesten Sohnes vorgehen mochte. Aber so sehr er sich auch bemühte, es gelang ihm nicht. Er warf einen kurzen Blick auf das gelangweilte, ausdruckslose Gesicht neben ihm und fragte sich, ob Chuck vielleicht an Mädchen dachte. Er wußte ja nicht einmal, ob Chuck schon Verabredungen hatte.
    »Wie geht es an der Universität?« fragte Charles so vorsichtig wie nur möglich.
    »Prima!« Chuck war sofort auf der Hut.
    Wieder Schweigen.
    »Hast du dir schon ein Abschlußfach überlegt?«
    »Nein. Noch nicht.«
    »Du mußt doch irgendeine Vorstellung haben. Mußt du denn noch nicht deine Planung für das nächste Jahr machen?«
    »In der nächsten Zeit noch nicht.«
    »Welches Fach gefällt dir denn in diesem Jahr am besten?«
    »Psychologie, glaube ich.« Chuck sah aus dem Seitenfenster. Er wollte nicht über die Universität reden. Früher oder später mußten sie sonst auf Chemie kommen.
    »Bitte nicht Psychologie«, sagte Charles und schüttelte den Kopf.
    Chuck sah seinem Vater in das sauber rasierte Gesicht, auf die breite, aber fein geschnittene Nase, den leicht zurückgeneigten Kopf, der seine herablassende Art zu sprechen noch unterstrich. Er war immer so selbstsicher, hatte sofort immer ein Urteil zu Hand. Chuck hatte den Spott in der Betonung des Wortes ›Psychologie‹ nicht überhört. Er nahm seinen ganzen Mut zusammen und fragte: »Was hast du gegen Psychologie?« Chuck war überzeugt, daß sein Vater zumindest auf dem Gebiet kein Experte war.
    »Psychologie ist reine Zeitverschwendung«, sagte Charles. »Sie basiert auf einem fundamental falschen Prinzip, Stimulation – Reaktion. Und genau so arbeitet das Gehirn nicht. Das Gehirn ist keine leere Tabula rasa, es ist ein dynamisches System, das Ideen und Gefühle hervorbringt, die oft in keinem Verhältnis zur realen Umwelt stehen. Verstehst du, was ich meine?«
    »Ja!« Chuck sah wieder aus dem Fenster. Er hatte keine Ahnung, wovon sein Vater sprach. Aber wie üblich hörte es sich sehr gut an. Und es war einfacher, seinem Vater zuzustimmen. Das tat er für die nächste Viertelstunde, während Charles seinen leidenschaftlichen
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