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Fieber

Titel: Fieber
Autoren: Robin Cook
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hinunter zum Teich. »Jetzt muß ich heute nachmittag mein Hockeyfeld noch einmal freischaufeln. Du, Dad, wieso friert das Wasser eigentlich nie vor Michelles Spielhaus?«
    Charles legte den langen Eisenhaken ein, damit die Tür nicht wieder zuschlagen konnte, und sah hinunter zum Teich. »Das weiß ich auch nicht. Ich habe mir noch nie Gedanken darum gemacht. Das muß irgendwie mit der Strömung zusammenhängen. Die offene Stelle liegt direkt vor dem Flußzulauf, und der ist ja auch nicht zugefroren.«
    »Da.« Chuck zeigte hinter das Spielhaus. Auf dem kahlen Uferring, der um den Teich lief, lag eine tote Stockente. »Schon wieder eine tote Ente. Ich glaube, die können den Gestank auch nicht ertragen.«
    »Das ist merkwürdig«, sagte Charles. »Seit mehreren Jahren waren keine Enten mehr hier. Als wir gerade hergezogen waren, gab es noch so viele, daß ich sie von Michelles Spielhaus aus schießen konnte. Dann waren sie plötzlich verschwunden.«
    »Da ist noch eine«, schrie Jean Paul. »Aber sie lebt noch. Schaut mal, wie sie herumtaumelt.«
    »Als ob sie betrunken ist«, sagte Chuck.
    »Kommt, wir müssen ihr helfen.«
    »Wir haben nicht mehr viel Zeit«, sagte Charles widerwillig.
    »Ach, kommt doch.« Jean Paul lief über den gefrorenen Schnee hinunter zum Teich.
    Weder Charles noch Chuck teilte seine Begeisterung, aber trotzdem gingen sie ihm nach. Als sie bei Jean Paul ankamen, beugte er sich gerade über das arme Tier, das von Krämpfen geschüttelt wurde.
    »Mein Gott, sie hat Epilepsie!« sagte Chuck.
    »Was ist mit ihr, Dad?« fragte Jean Paul.
    »Ich habe nicht die leiseste Ahnung. Mit Vogelkrankheiten kenne ich mich nicht besonders gut aus.«
    Jean Paul wollte den Vogel greifen, um ihn gegen das hilflose Taumeln zu schützen.
    »Ich weiß nicht, ob du ihn anfassen solltest«, warnte Charles. »Ich bin nicht sicher, ob auch Enten die Papageienkrankheit übertragen können.«
    »Ich glaube, wir sollten sie töten, damit ihr Leiden ein Ende hat«, sagte Chuck.
    Charles sah zu seinem älteren Sohn, dessen Augen auf das kranke Tier geheftet waren. Charles kam der Vorschlag von Chuck irgendwie grausam vor, obwohl er sicherlich recht hatte.
    »Kann ich sie nicht bis heute abend in den Stall sperren?« bettelte Jean Paul.
    »Ich hol’ mein Luftgewehr und erschieß’ sie«, sagte Chuck. Jetzt konnte er es Jean Paul heimzahlen.
    »Nein!« fuhr Jean Paul ihn an. »Kann ich sie in den Stall tun, Dad? Bitte!«
    »Also gut«, gab Charles nach. »Aber berühr sie nicht. Lauf ins Haus und hol dir eine Schachtel oder was Ähnliches.«
    Jean Paul hetzte los wie ein Hase. Charles und Chuck sahen sich an. »Hast du denn kein Mitleid?« fragte Charles.
    »Mitleid? Ausgerechnet du fragst mich, ob ich Mitleid habe! Nach all dem, was du den Tieren in deinem Labor antust. Das ist ein Witz!«
    Charles sah seinen Sohn aufmerksam an. Er glaubte, mehr als nur Respektlosigkeit zu sehen. Er glaubte, er sah Haß. Seit dem ersten Tag seiner Pubertät war Chuck für Charles ein Rätsel geworden. Nur mit Mühe konnte er das Verlangen, den Jungen zu ohrfeigen, unterdrücken.
    Mit seinem gewohnten Einfallsreichtum hatte Jean Paul eine große Pappschachtel und sogar auch ein altes Kissen gefunden. Er schnitt das Kissen auf und ließ die Federn in den Karton regnen. Mit dem leeren Stofflumpen schützte er dann seine Hände, als er die Ente aufhob und in die Schachtel setzte. Wie er Charles erklärte, sollten die Federn den Vogel vor Verletzungen schützen, wenn er wieder einen Anfall bekam. Und außerdem würden sie ihn auch wärmen. Charles nickte zustimmend, dann stiegen alle drei in das Auto.
    Der fünf Jahre alte, rostige Pinto ließ ein klagendes Geräusch hören, als Charles den Zündschlüssel drehte. Dann sprang der Wagen an, und wegen der Löcher im Auspufftopf röhrte der Motor wie ein AMX-Panzer. Charles setzte rückwärts aus der Garage, lenkte die Auffahrt hinunter und bog nach Norden auf die Interstate 301, Richtung Shaftesbury. Als der alte Wagen langsam Fahrt gewann, fühlte sich Charles erleichtert. Das Zusammenleben in einer Familie konnte eben einfach nicht in ruhigen Bahnen verlaufen. Aber wenigstens im Labor waren die Abweichungen auf angenehme Weise voraussagbar, und alle Probleme waren an eine wissenschaftliche Methode gebunden. Charles’ Verständnis für menschliche Launenhaftigkeit war in letzter Zeit immer mehr geschwunden.
    »Also schön! Dann eben keine Musik.« Charles schaltete das Autoradio wieder aus.
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