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Fida (German Edition)

Fida (German Edition)

Titel: Fida (German Edition)
Autoren: Stefanie Maucher
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Räume hallte. Ein leises und gleichmäßiges Klacken, das langsam näher kam. Patrik zog die Augenbrauen zusammen und sah sich besorgt nach den Kindern um. Würde man sie jetzt entdecken? Würde man sie einfangen und mitnehmen? Zum Glück konnte man sie gerade weder sehen noch hören. Wahrscheinlich hatten sie schon lange vor ihm den fremden Eindringling bemerkt und gaben deswegen keinen Laut von sich. Bis auf das leise Klacken – nun schon sehr nah – lag das Gelände in Stille.
     
    „Hallo“, rief eine Frauenstimme unsicher, „ist hier jemand?“
     
    „Ja!“, rief Patrik zurück, der sich sowieso nicht hätte verstecken können. „Hier, in der großen Halle.“
     
    Das Klacken wurde lauter und kurz darauf trat eine Frau durch die eiserne rostige Schiebetür. Neben der Tür blieb sie stehen und drehte leicht den Kopf, um zu horchen. Sie schien ihm sehr jung zu sein, und ein Lichtstrahl fiel durch die trüben Fenster, um in ihrem hellen Haar zu spielen. Ihr klares Gesicht, mit den hellen Augen wirkte unsicher.
     
    „Ich bin hier“, sagte Patrik.
     
    „Oh“, machte sie und drehte ihr Gesicht in seine Richtung, ohne dass ihr Blick ihn erfasste, „ich hoffe ich störe nicht, und dass ich hier richtig bin. Sind Sie Patrik?“
     
    „Ja“, erwiderte er seufzend. „Und wenn ich dir als ‚Patrik der Spinner’ vorgestellt worden bin, dann musst du Rapunzel sein.“
     
    Sie legte irritiert den Kopf schief.
     
    „Ich würde dir gerne einen Platz anbieten“, sagte er, „aber ich habe keine Stühle hier. Ich glaube zwar, irgendwo gibt es hier einen Raum, wo welche sind, nur ... kann ich keinen holen. Wie hast du denn hierher gefunden?“
     
    „Über Irina“, erwiderte sie und mit einem schüchternen Lächeln fügte sie hinzu: „Und ich bin mir nicht ganz sicher, aber es könnte sein, dass ich 'Rapunzel’ bin.“
     
    Patrik lachte und davon ermuntert, wurde das Lächeln der jungen Frau etwas weniger unsicher.
     
    „Bitte nenn mich Patrik“, sagte er vergnügt, „und lass ... den Titel weg.“
     
    Als er ihr ratloses Gesicht sah, fügte er hinzu: „Der Spinner!“
     
    Jetzt lachte sie auch.
     
    „Ich heiße Katharina“, erwiderte sie. „Aber aus einem Turm bin ich wirklich davon gelaufen.“
     
    Dann wurde sie wieder ernst.
     
    „Was hat Irina über mich erzählt?“, fragte Katharina.
     
    „Nicht viel“, antwortete Patrik. „Nur, dass Rapunzel mich treffen möchte. Und ich weiß ehrlich gesagt nicht warum, oder was ich für dich tun könnte.“
     
    „Das weiß ich auch nicht“, seufzte sie. „Ich bin vielleicht nur hier, weil dies der erste Tag ist, an dem ich aus meinem Turm fortgelaufen bin.“
     
    Die Blinde verstummte, hielt sich scheu an ihrem Stock fest und trat von einem Bein auf das andere. Es wurde still in der Halle, nur das leise Pfeifen des Windes, das stetige Tropfen des Wassers von der Decke und manchmal das kaum wahrnehmbare Rauschen des fernen Verkehrs hallten zwischen den Mauern hin und her. Die Hallen dieses Geländes standen schon seit Langem leer, die meisten Maschinen waren verkauft und der Rest verrottete. Irgendwann einmal würde man das alles hier abreißen, aber Patrik wusste, er würde es nicht mehr erleben. Es würde in einer Zukunft passieren, die nichts mit ihm zu tun hätte. Und bis dahin blieb dieser Ort von der Welt vergessen.
     
    Die junge Frau stand immer noch neben der Tür. Die Schultern leicht hochgezogen, so als würde sie etwas erwarten, vor dem sie sich schützen müsse. Vielleicht am Arm gefasst und irgendwo hingeführt zu werden.
     
    „Ich kann dir leider wirklich keinen Stuhl holen“, sagte Patrik, „oder dir Tee anbieten. Was immer Irina dir erzählt hat, ich glaube nicht, dass sie erwähnt hat, dass ich im Rollstuhl sitze, oder?“
     
    Einen Moment lang wirkte Katharina erschrocken, dann entspannten sich ihre Gesichtszüge und sie lächelte.
     
    „Du meintest, hier gäbe es irgendwo Stühle?“, sagte sie strahlend. „Ich ... ich kann ja versuchen sie zu finden und einen zu holen.“
     
    „Wenn du zurückgehst“, erklärte Patrik, „die Treppe wieder runter, dann müsste da ein Gang kommen und am Ende des Ganges ein Raum, wo welche gelagert sind - vielleicht.“
     
    Die Blinde drehte sich um und verließ die Halle wieder. Patrik horchte auf das gleichmäßige Klacken, das langsam immer leiser wurde. Dann lauschte er auf andere Geräusche, aber die Kinder verhielten sich noch immer still.
     
    Dieses blinde Mädchen
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