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Feuerkind

Feuerkind

Titel: Feuerkind
Autoren: Stephen King
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heim, so unvermeidlich wie ein schwarzes Pferd zu einem feierlichen Leichenbegängnis gehört. Er spürte den Hufschlag in den Schläfen. Ein monotones Stampfen.
    Auf der Flucht. Er und Charlie. Er war vierunddreißig Jahre alt, und bis vor einem Jahr war er Dozent für Englisch am Harrison State College in Ohio gewesen. Harrison war eine verschlafene kleine Universitätsstadt. Das gute alte Harrison im Herzen Amerikas. Der gute alte Andrew McGee, ein anständiger und stattlicher junger Mann. Eine solide Stütze der Gesellschaft.
    Erbarmungslos trabte der reiterlose Rappe in seinem Kopf herum, warf mit eisenbeschlagenen Hufen weiche Brocken grauen Gehirngewebes auf, hinterließ Hufabdrücke, die sich mit geheim: svollen Blutströmen füllten.
    Der Taxifahrer war leicht zu beeinflussen gewesn. Das stand fest. Ein ausgezeichneter Fahrer.
    Er nickte ein und sah Charlies Gesicht. Und Charlies Gesicht verwandelte sich in Vickys Gesicht.
    Andy McGee und seine Frau, die hübsche Vicky. Sie hatten ihr die Fingernägel herausgerissen, einen nach dem anderen. Vier Stück hatten sie ihr herausgerissen, und dann hatte sie geredet.
    Das war jedenfalls seine Vermutung. Daumen, Zeigefinger, Mittelfinger, Ringfinger. Dann: Aufhören. Ich werde reden. Ich werde alles sagen, was Sie wissen wollen. Wenn Sie nur aufhören. Bitte. Sie hatte also geredet. Und dann … vielleicht war es nur ein Unfall… dann war seine Frau gestorben. Nun, es gibt Dinge, die größer sind als wir beide, und andere Dinge sind größer als wir alle.
    Die Firma zum Beispiel.
    Der reiterlose Rappe trabte weiter und immer weiter: seht nur, ein schwarzes Pferd.
    Andy schlief.
    Mit seinen Erinnerungen.
2
    Das Experiment wurde von Dr. Wanless durchgeführt. Er war fettleibig, fast kahlköpfig und hatte mindestens eine recht bizarre Gewohnheit.
    »Wir werden allen zwölf anwesenden jungen Damen und Herren je eine Injektion verpassen«, sagte er und zerfaserte dabei eine Zigarette, deren Bestandteile er in den vor ihm stehenden Aschenbecher fallen ließ. Seine kurzen, rosigen Finger zupften an dem dünnen Zigarettenpapier, bis es zerriß und feine Stränge goldbraunen Tabaks freigab. »Sechs dieser Injektionen bestehen aus Wasser. Die anderen enthalten zusätzlich eine chemische Verbindung, die wir Lot Sechs nennen. Die genaue Zusammensetzung dieser Verbindung ist geheim, aber im wesentlichen handelt es sich um ein Hypnotikum zusammen mit einem milden Halluzinogenikum. Verstehen Sie bitte, daß wir das Mittel blind verabfolgen … das heißt, daß vorerst weder Sie noch wir wissen, wer nur das Wasser und wer zusätzlich die Wirkstoffe bekommen hat. Sie alle werden nach der Injektion achtundvierzig Stunden lang unter sorgfältiger Überwachung stehen. Noch Fragen?«
    Es gab einige, und die meisten drehten sich um die genaue Zusammensetzung von Lot Sechs – das Wort geheim wirkte, als hätte man Bluthunde auf die Spur eines entwichenen Sträflings gesetzt. Wanless wich allen Fragen geschickt aus. Niemand hatte die Frage gestellt, an deren Beantwortung der zweiund-zwanzigjährige Andy McGee am meisten interessiert war. In der Pause, die im fast leeren Hörsaal des kombinierten Psychologie/Soziologie-Instituts der Universität von Harrison entstand, wollte er sich schon zu Wort melden, um zu fragen, warum der Kerl denn Zigaretten zerriß, die wirklich noch zu gebrauchen waren. Aber lieber nicht. Lieber der Phantasie die Zügel schießen lassen, während dieser langweilige Mist hier ablief. Er wollte sich doch selbst gern das Rauchen abgewöhnen. Rauchen ist ein Zeichen dafür, daß man in der Oralphase steckengeblieben ist. Wer sich noch nicht aus der Analphase gelöst hat, reißt Zigaretten kaputt (Andy mußte grinsen, aber er hielt sich die Hand vor den Mund, damit es nicht auffiel). Der Bruder von Dr. Wanless war an Lungenkrebs gestorben, und symbolisch ließ Wantess nun seinen Aggressionen gegen die Zigarettenindustrie freien Lauf. Vielleicht handelte es sich auch nur um eine jener dekorativen Marotten, die Universitätsprofessoren eher zur Schau stellten als unterdrückten. In seinem zweiten Jahr in Harrison hatte Andy einen Englischdozenten gehabt (der Mann lehrte glücklicherweise nicht mehr), der während einer Vorlesung über William Den Howells und den aufkommenden Realismus ständig an seiner Krawatte herumschnüffelte.
    »Wenn es keine Fragen mehr gibt, bitte ich Sie, diese Formulare auszufüllen. Ich erwarte Sie dann pünktlich um neun Uhr am nächsten
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