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Feind in Sicht

Feind in Sicht

Titel: Feind in Sicht
Autoren: Alexander Kent
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sich müde in seinem Sessel zurück. Selbst in der geschützten Kajüte war die Luft kalt und feucht, und der Lederbezug seines Schreibtischstuhls fühlte sich klamm an. Das Schiff hob sich, hielt inne und taumelte dann in einer ungestümen, korkenzieherartigen Bewegung vorwärts, bei der selbst Nachdenken zu einer bewußten Willensanstrengung wurde. Er wußte aber, wenn er wieder auf das vom Wind überfegte Achterdeck zurückging, würde er für nicht mehr als nur wenige Minuten Frieden finden.
    Er starrte durch die dicken Scheiben der Heckfenster. Sie waren aber so von Salz verkrustet und mit herabrinnendem Sprühwasser bedeckt, daß man nur gerade noch den Tag von der Nacht unterscheiden konnte. Es war kurz vor der Mittagsstunde, aber es konnte jede andere Tageszeit sein. Der Himmel war entweder schwarz und zeigte keine Sterne oder war schiefergrau wie jetzt. Und so war es Tag für Tag gewesen, während die
Hyperion
weiter und weiter nach Südosten segelte und tiefer in die Biskaya vorstieß.
    Er war auf die Beschwerlichkeiten und die Langeweile des Blockadedienstes durchaus vorbereitet, und als am zweiten Tag nach dem Auslaufen von Plymouth der Ausguck im Mast die Schiffe des Geschwaders gesichtet hatte, war er bereits entschlossen, aus allem das Beste zu machen. Aber wie er nach fast fünfundzwanzig Dienstjahren auf See hätte wissen müssen: bei der Marine konnte man sich auf nichts mit Sicherheit verlassen.
    Seine Befehle besagten, daß er sich dem Kommando von Vizeadmiral Sir Manley Cavendish unterstellen und seinen Platz mit all den anderen wettererprobten Schiffen bei der ständigen Bewachung einnehmen sollte, die über das Geschick von England und damit der gesamten Welt entscheiden konnte. Vor jedem französischen Hafen überstanden diese Schiffe Stürme oder kreuzten unermüdlich in ihrer kein Ende nehmenden Patrouille auf und ab, während dichter unter der Küste und manchmal sogar in Reichweite feindlicher Batterien schlanke Fregatten, die Augen der Flotte, jede Schiffsbewegung meldeten. Sie sammelten Informationen von aufgebrachten Küstenfahrzeugen oder segelten bei ihrer unaufhörlichen Suche nach Nachrichten verwegen fast in die französischen Häfen selbst hinein.
    Seit Howes Sieg an jenem glorreichen l. Juni hatten die Franzosen wenig Neigung zu einem weiteren großen Zusammenstoß gezeigt, aber wie jeder andere denkende Offizier hatte Bolitho erkannt, daß diese bedrückende Tatenlosigkeit nicht ewig dauern konnte. Nur der Kanal trennte den Feind von einer Invasion Englands, doch bis die Franzosen eine starke Invasionsflotte aufgestellt hatten, war dieser Wasserstreifen so gut wie ein Ozean.
    In den großen Kriegshäfen Brest und Lorient konnten sich die französischen Linienschiffe nicht regen, ohne von den kreuzenden Fregatten beobachtet und gemeldet zu werden, während in jedem anderen Hafen an der Westküste bis hinunter nach Bordeaux andere Schiffe warteten und auf eine Chance lauerten, sich davonzuschleichen und sich schnell den anderen Streitkräften im Norden anzuschließen. Bald würde es soweit sein, daß sie einen Ausbruch versuchten. Wenn das geschah, war es lebenswichtig, daß die Nachrichten über die Bewegungen des Feindes schnell die schweren Geschwader erreichten und, wichtiger noch, richtig gedeutet wurden, damit Maßnahmen ergriffen wurden, sie zu stellen und zu vernichten.
    Schweigend hatte Bolitho in Lee des Flaggschiffes verharrt und beobachtet, wie die Flaggen zur Rah des mächtigen Dreideckers aufstiegen und Midshipman Gascoigne mit seinen Signalgasten sich verzweifelt abmühte, mit den Bestätigungen nachzukommen. Bei dieser Gelegenheit hatte er den ersten Hinweis darauf erhalten, daß nicht alles so war wie erwartet.
    Gascoigne hatte geschrien: »Flaggschiff an
Hyperion:
Halten Sie sich bereit, Befehle und Depeschen zu übernehmen!«
    Inch schien eine Frage stellen zu wollen, zog es aber dann vor, zu schweigen. Die beiden ersten Tage nach dem Auslaufen von Plymouth waren schwer für ihn gewesen. Innerhalb weniger Stunden, nachdem sie nach Süden abgedreht hatten, war der Wind zu annähernd Sturmstärke angewachsen. Unter gerefften Marssegeln und bei einer wilden, achterlich anlaufenden See, die das Schiff schwanken und wie betrunken von einem Wellental ins nächste taumeln ließ, war Inch einem Chaos von Fragen und Forderungen von allen Seiten ausgesetzt gewesen. Viele der neuen Leute waren seekrank und fast hilflos, und die meisten anderen waren ständig bei der
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