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Fast ein bisschen Frühling - Capus, A: Fast ein bisschen Frühling

Fast ein bisschen Frühling - Capus, A: Fast ein bisschen Frühling

Titel: Fast ein bisschen Frühling - Capus, A: Fast ein bisschen Frühling
Autoren: Alex Capus
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Schweizer Auswahl im Zürcher Hardturmstadion vor 30 000 Zuschauern zwei zu null. Die Tore erzielen Lachner und Hohmann in den letzten zwanzig Minuten.
    UNGLÜCK UND VERBRECHEN: Im Südwesten der USA begeht ein Gangsterpärchen blutige Überfälle auf Banken, Juweliere, Tankstellen und Metzgereien. Am 8. November suchen Clyde Barrow und Bonnie Parker das Lohnbüro der McMurray Ölraffinerie in Arp, Texas, heim. Am 21. November entkommen sie nach einer Schießerei mit dem Sheriff und seinen Deputies bei Grand Prairie in einem gestohlenen Ford V8. Bonnie ist dreiundzwanzig, Clyde vierundzwanzig Jahre alt.
    Und hier eine Meldung aus Stuttgart: »Die große und herzliche Anteilnahme weiter Kreise der Bevölkerung an dem furchtbaren Geschick, das die Familie des Ermordeten getroffen hat, gab sich in der Abschiedsstunde am Grab Julius Feuersteins noch einmal in ergreifender Weise kund. Einige tausend Trauergäste umgaben die letzte Ruhestätte. Der Sarg war im Leichenhaus aufgebahrt, vor dem Mitglieder des Turnvereins Gablenberg die Ehrenwache hielten. Dann trugen die Kameraden vom Turnverein den Sarg mit der sterblichen Hülle ihres geliebten Mitgliedes durch den Hauptweg des Friedhofs zwischen den von Turnern gebildeten Ehrenreihen hindurch zum Grabe. Dem Sarge vorangetragen wurden die umflorten Fahnen der Arbeitsfront, und den S. A.-Kameraden folgten die Gablenberger Turner mit ihrer schwarz umhüllten Vereinsfahne, und ihnen schlossen sich viele Kranzträger an.«
    Der Ozeandampfer verschwindet aus dem Hafenbecken, Kurt Sandweg und Waldemar Velte gehen auf direktem Weg zurück zum Hauptbahnhof. Noch am selben Abend fahren sie mit dem Nachtzug über Brüssel nach Paris.

5
    An der Gare de l’Est gibt es nur Ankömmlinge, niemand fährt weg. Tag für Tag fahren Dutzende von Zügen aus dem Osten herbei, und Hunderte von Menschen ziehen durch den Dampf der Loks dem Ausgang entgegen. Manche haben schwere Überseekoffer mitgebracht und lassen sie tragen, manche stoßen auf ausgedienten Kinderwagen ganze Türme von Taschen und Koffern über den Bahnsteig, und manche haben überhaupt kein Gepäck. Sandweg und Velte tragen ihre Lederköfferchen mit sich. Unablässig ergießt sich der Strom hinein in die große Stadt. Hotels und Pensionen sind längst alle ausgebucht, noch für die windigsten Dachkammern werden absurd hohe Preise bezahlt; wer kein Glück und kein Geld hat, landet nach wenigen Stunden oder Tagen unausweichlich in den Bidonvilles am Rand der Stadt. Manche wollen arbeiten und ihre Kinder aufziehen, manche Komitees und Zeitschriften gründen, manche einfach nur überleben, und viele werden sich irgendwann in ihrem Zimmer aufs Bett legen und ein Röhrchen Pillen schlucken, und ihr letzter Anblick von dieser Welt wird die speckige Tapete an der gegenüberliegenden Wand sein oder das regennasse Zinndach jenseits des Hofs.
     
    *
     
    »Was mein Bruder und Kurt dort gesucht haben? Gar nichts. Paris liegt ja nicht am Meer, das war nur eine Station auf dem Weg nach Marseille. Waldemar hat uns eine Ansichtskarte mit dem Eiffelturm vorne drauf geschickt, da hat er sich ziemlich spöttisch über Paris geäußert. Surrealistische Ausstellungen, Boxkämpfe, geschminkte Männer, magere Mädchen in kurzen, perlenbesetzten Röcken – das war nichts für ihn. Ich meine, die beiden konnten auch kein Französisch. Da hat bestimmt niemand gewartet auf zwei arbeitslose Burschen aus Wuppertal. Und mit dem Geld mussten sie sparsam umgehen, weil das bis Indien reichen sollte.«
     
    *
     
    Kurt und Waldemar tun das, was alle Provinzbuben bei ihrem ersten Besuch in Paris tun: Stunde um Stunde durch die Stadt wandern vom Sacré-Cœur zum Eiffelturm und weiter Richtung Jardin du Luxembourg und Quartier Latin, Notre-Dame, Bastille, Friedhof Père-Lachaise und so weiter; bewundernd den Pariser Bürgerstöchtern hinterhergaffen, die sich so urban, elegant und blasiert in den Hüften wiegen können; in die Auslagen der Luxusgeschäfte schauen, die schon gar keine Preise mehr anschreiben; zweimal täglich Steak und Pommes frites essen und sich jedes Mal anschnauzen lassen von einem Kellner, dessen Gesichtsfarbe auf ein Magengeschwür hindeutet; nachts die Prostituierten an der Place Pigalle besichtigen und nach ein paar Tagen die Nase vollhaben von der Wichtigtuerei dieser Stadt und froh sein, dass man hier nicht leben muss.
     
    *
     
    In jenen Tagen trat der Eiswind des sibirischen Kältehochs seine jährliche Winterreise über das
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