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Falsch

Falsch

Titel: Falsch
Autoren: Gerd Schilddorfer
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Betreuung durch Professor Grasset und den Lehrern zu einer weitgehend normalen jungen Frau, die nicht nur durch ihren Charme die Blicke auf sich zog. Mit oft engelsgleicher Geduld kooperierte sie bei medizinisch-wissenschaftlichen Experimenten zur Erforschung des Savant-Syndroms und ermöglichte so den Spezialisten Einblicke in bis dahin unerschlossene Gehirnwelten.
    Vincente Cortes blieb nach dem Tod von Alfredo in der Schweiz und erfüllte sich seinen Lebenstraum. Mit Hilfe und der Unterstützung von Fiona Klausner fand er eine Ausbildungsstelle bei einer Sterneköchin am Genfer See und bereute diesen Schritt nie. Er besuchte Francesca regelmäßig im Institut Peterhof, und beide begannen eines Tages mit der Erlaubnis von Professor Grasset gemeinsam zu laufen, erst kleine Runden, dann immer größere und schließlich Marathonstrecken. Die Freundschaft zwischen den beiden vertiefte sich über die Jahre. Vincente begleitete Francesca auf ihren Besuchen daheim, und einen gemeinsamen Urlaub verbrachten beide in Medellín, wo Vincente dem jungen Mädchen seine Stadt zeigte. Beide versprachen sich eines Tages, sich nie mehr aus den Augen zu verlieren.
    Johanna »Hanna« Bergmann schaffte es mit ihrer Fracht bis nach Oberösterreich, wo sie den Rucksack mit dem zweiten Satz der Druckplatten aus Sachsenhausen im Wolfgangssee von einem Ruderboot aus versenkte. Mittels einer Peilung versuchte sie, sich die Stelle einzuprägen. Dann fuhr sie über Bad Ischl weiter nach Altaussee, ins Herz der Alpenfestung, die doch keine war. Es wimmelte nur so von Mitgliedern der verschiedenen Exilregierungen, Agenten des Auslandsgeheimdienstes, hohen Offizieren und Glücksrittern, die versuchten, ihr Scherflein ins Trockene zu bringen. Nach dem Einmarsch der Amerikaner, die sich nicht sonderlich für Bergmann interessierten, sondern eher hinter den Tausenden Kunstwerken in den Salzstollen und dem Leiter des Reichssicherheitshauptamtes Kaltenbrunner her waren, nahm die junge Frau vorübergehend eine Stelle als Bedienung in einem Gasthof am Seeufer an. Regelmäßige Gäste waren Offiziere der US -Army, und so wurde aus Johanna Bergmann im April 1947 Mrs. Hanna Connor. Nach der Rückkehr des Paares in die USA lebte Hanna mit ihrem Mann auf dessen Ranch und widmete sich der Pferdezucht. Major a. D. William Connor stürzte 1989 bei einem Reitunfall so unglücklich, dass er sich das Genick brach. Hanna verkaufte die Ranch, zog in die Stadt, und starb im November 2002 allein und vergessen in einem Altersheim in Huston, Texas. Sie war nie wieder an den Wolfgangssee zurückgekehrt.
    Major Llewellyn Thomas, der Waliser, der, einem alten lokalen Aberglauben folgend, seinen Nachnamen erfolgreich geheim hielt und damit auch einer Tradition im britischen Geheimdienst entsprach, kehrte in seine kleine Wohnung nahe dem Leicester Square in Londons City zurück und feierte allein Weihnachten – umringt von Erinnerungen und Care-Paketen von Margret Compton. Als John Finch ihn ein halbes Jahr später anrief und fragte, ob er Lust auf Nordafrika habe, packte er seinen Seesack, versperrte seine Wohnung und machte sich auf den Weg. Aber das ist eine andere Geschichte …
    Samuel Kronstein, der Edelsteinhändler der Romanows, starb am 14. August 1926 in Basel. Er schlief am Nachmittag auf dem Sofa in seiner Wohnung ein und wachte nicht mehr auf. Kronstein war nach dem Abschluss der Restaurierungsarbeiten an der »Villa Kronstein«, wie sie nun genannt wurde, in eine Wohnung im ersten Stock gezogen, mit einem weiten Blick übers Basler Land. An klaren Tagen konnte man vom Fenster aus in der Ferne die Gipfel der Alpen und die Ausläufer der Vogesen sehen. In den letzten Jahren seines Lebens stand er oft da, schweigend, unbeweglich, und schaute in eine unbestimmte Ferne. Das Heimweh nach St. Petersburg ließ ihn nie mehr los. Seine Heimat lag in einer anderen Galaxie, in einer längst vergangenen Epoche. Unerreichbar fern. Auch er konnte die Zeit nicht mehr zurückdrehen. Wie ihm erging es Tausenden russischer Emigranten. Durch die europäischen Hauptstädte geisterten sie als sogenannte »Phantome des Zaren« noch bis zum Zweiten Weltkrieg – verarmt, oft arbeitslos oder ihren kargen Lebensunterhalt mit Gelegenheitsjobs aufbessernd. Viele von ihnen starben an Hunger, noch mehr am Heimweh. Tausende waren Offiziere der Weißen Garde gewesen. In ihrer Pistole befand sich traditionell immer eine letzte Kugel. So drückten viele ab, bevor sie ihren Glauben verloren
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