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Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 4 Vor dem Hahnenschrei

Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 4 Vor dem Hahnenschrei

Titel: Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 4 Vor dem Hahnenschrei
Autoren: Martin Clauß
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die Haare. Von dem Verbrannten schien keine Gefahr mehr auszugehen. Seine beiden Körperhälften bewegten sich noch, aber sie kamen nicht vom Fleck und waren unfähig, sich aufzurichten. Der menschliche Körper ist nicht darauf ausgelegt, in kleinen Brocken noch effektiv zu arbeiten.
    Sir Darren wartete einen Moment und kam dann mit erhobenen Händen hinter dem Wagen hervor. „Bitte schießen Sie nicht!“, rief er. „Wir gehören nicht zu ihm da!“
    „Das sehe ich“, keuchte die Polizistin. Sie ließ ihre Waffe sinken, steckte sie aber nicht ein. Während sie näherkam, schüttelte sie fortwährend den Kopf und sah sich alle drei Sekunden um. Sie hatte rotbraune Haare und ein hübsches, schmales, amerikanisches Gesicht voller Sommersprossen. Ihre Uniform wies Rußflecken und Brandlöcher auf. Sie hielt sich die Hand.
    Ehe sie ihn erreicht hatte, fiel Sir Darren der tiefe, oszillierende Ton auf. War inmitten dieser Trümmer noch irgendeine Anlage in Betrieb? Nein, danach klang es nicht. Der Ton war vielmehr organischer Natur, eine Stimme vielleicht. Und er hatte einen Rhythmus: kurz – kurz – lang – lang. Sehr langsam und tief, als spiele man eine Aufnahme mit viel zu niedriger Geschwindigkeit ab.
    Aber welches Wesen schrie so?
    Kurz – kurz – lang – lang.
    „Mein Name ist Edgar, Sir Darren Edgar.“
    „Officer Lyanne Marsh“, flüsterte die Frau abwesend. „Was tun Sie hier?“
    „Ich hatte gehofft, Sie könnten mir das erklären. Diese … Kreatur, die da eben … Herrje, da ist ja noch eine!“
    In einer Entfernung von zwanzig, dreißig Yards stolperte ein verbrannter menschlicher Leib aus der Ruine des Hauses. Lyanne wirbelte herum. Obwohl der schwarze Körper nicht in ihre Richtung lief, feuerte sie drei Schüsse ab. Einer verfehlte ihn, die anderen beiden trafen ihn in Kopf und Rumpf. Das Ding lief noch einige Schritte und fiel dann auseinander.
    „Zombies“, sagte Lyanne Marsh. „Zuerst die Hühner, dann die Menschen. Zombies.“
    „Zombies?“ Sir Darren hob die Augenbrauen. Dann erklärte er: „Zombies gehören in die Yoruba-Religionen. Es ist sehr, sehr zweifelhaft, dass sie hier …“
    Die Beamtin funkelte ihn angriffslustig an. „Hören Sie dieses Geräusch?“
    „Sie meinen diesen tiefen Ton?“
    „Ich glaube, es ist der Schrei eines Säuglings“, sagte Lyanne schnell. „Ja, ich glaube, dass es so ist. Vielleicht ist ein Baby in diesen Flammen umgekommen, und jetzt ruft es nach seiner Mutter. Oder es lebt noch, hat sich irgendwo versteckt, zum Beispiel … ja, das ist es! Es muss unter dem alten Traktor liegen. Es hat sich dahin geflüchtet, und jetzt ruft es nach mir.“
    Sir Darren sah zu dem Schlepper hinüber. Curtis versuchte offenbar, sich dem Fahrzeug zu nähern, wurde aber von etwas zurückgehalten. Vielleicht von der Hitze? Dann blickte der Brite die Polizistin an. „Verzeihen Sie, wenn ich widerspreche, aber ich finde nicht, dass es sich wie ein menschlicher Säugling anhört. Ich tippe eher auf … einen Vogel, einen Hahn, um genau zu sein. Kurz – kurz – lang – lang. Es klingt wie das extrem verlangsamte Krähen eines Hahns.“ Eines Phönix , fügte er innerlich hinzu, doch er wusste nicht, was er mit dem Gedanken anfangen sollte.
    Lyanne Marshs Augen bekamen einen gefährlichen Ausdruck. „Kein Säugling, sagen Sie? Sir, ich bin Mutter von zwei Kindern. Manche Dinge spüre ich einfach.“
    „Gehen wir hinüber zu diesem Traktor“, schlug Sir Darren vor.
    Während sie das taten, machte er Bekanntschaft mit einem kopflosen Huhn, das an ihm vorüberrannte. Er zuckte irritiert die Schultern. Er hatte eine Menge gesehen in seinem Leben, aber …
    Curtis war auf die Erde gesunken, sein Gesicht rot von der Hitze. Noch immer bemühte er sich, dem Schlepper näherzukommen.
    „Dieses Fahrzeug strahlt eine immense Wärme ab“, stellte Sir Darren fest und hob eine Hand schützend vor sein Gesicht. „Eine übernatürliche Wärme. Da – da flattert etwas!“
    Es waren Schatten auf dem rostigen Metall. Flügel erschienen für Augenblicke, dreidimensional, zweidimensional, dann verschwanden sie wieder. Sie hatten keinen Bestand, aber sie kehrten immer wieder.
    Und dann entdeckte er den Kadaver. Den rußgeschwärzten Hühnerkadaver. Ein Bein steckte im Kühlergitter fest – die Krallen mussten sich dort verhakt haben. Der Kadaver bewegte sich nicht, aber rund um ihn herum flatterte etwas in wilder Panik.
    Ein dunkles Phantom von einem Hahn. Eine Luftspiegelung.
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