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Exil im Kosmos: Roman (German Edition)

Exil im Kosmos: Roman (German Edition)

Titel: Exil im Kosmos: Roman (German Edition)
Autoren: Robert Silverberg
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Boardman war achtzig; er hatte zwei Drittel seiner Lebenszeit hinter sich, aber er konnte sich nicht erinnern, einmal anders gewesen zu sein als jetzt. Er hatte das Gefühl, immer ein Mann mittleren Alters gewesen zu sein – schlau, berechnend, durchorganisiert. So war er schon mit Zwanzig gewesen; er konnte bei aller nüchternen Selbsteinschätzung nicht glauben, dass seine Persönlichkeit sich seit damals verändert hatte. Er hatte Techniken gelernt, die Kunst der Menschenbehandlung; er war jetzt weiser, aber er war nicht qualitativ anders. Ned Rawlins dagegen, Anfang Dreißig und nach landläufiger Vorstellung nicht viel mehr als ein junger Bursche, würde in fünfzig Jahren eine ganz andere Person sein, und von jungenhafter Unbekümmertheit wäre dann nichts mehr übrig. Boardman vermutete sogar, ohne Befriedigung dabei zu empfinden, dass diese Reise zu einem Wendepunkt in Rawlins' Leben würde, zu einem Erlebnis, das ihn seiner Jugendlichkeit berauben würde.
    Boardman schloss die Augen und ließ die letzten Phasen des Landemanövers über sich ergehen. Übelkeit wühlte in seinen Eingeweiden, Schwerkraft zerrte an seinem alternden Fleisch. Er würgte und spie wässrigen Schleim in die bereitgelegte Plastiktüte. Wie viele Landungen wie diese hatte er gemacht? Das Leben eines Diplomaten war rastlos. Weihnachten auf Mars, Ostern auf einer der Centaurus-Welten, das Mittsommerfest auf einem stinkenden Planeten von Rigel – und nun diese Reise, die schwierigste von allen. Der Mensch war nicht dafür gemacht, so von Stern zu Stern zu rasen, dachte Boardman. Ich habe mein Gefühl für das Universum verloren. Dies soll die reichste Ära in der Zeit menschlicher Existenz sein; aber ein Mensch, der ein paar Stunden durch Feld und Wald wandert, kann reicher heimkehren als ein anderer, der seine Tage zwischen Planeten und Raumhäfen verbringt.
    Er wusste, dass der gewaltige Zug verstärkter Schwerkraft sein Gesicht verzerrte. Er hatte ein fleischiges Doppelkinn und feiste Wangen, und die Fettpolster seines Körpers gaben ihm ein behäbiges, genießerisches Aussehen. Ohne allzu große Mühen hätte er sich die modisch schlanke und sportlich straffe Erscheinung des modernen Mannes zulegen können; dies war eine Ära, die die Unsitten früherer Epochen wiederholte, bloß auf quantitativ verlagerter Ebene: Jugend war Trumpf, und wer nicht mehr jung war, wollte wenigstens so aussehen, wobei ihm eine erfinderische Technik zu Hilfe kam. Die Folge war, dass so manche Hundertjährigen beiderlei Geschlechts die beginnende Gebrechlichkeit ihres nahenden Greisenalters hinter täuschenden Fassaden falscher Jugendfrische zu verbergen suchten. Boardman dagegen hatte sich bereits zu Beginn seiner Karriere für ein natürliches Altern entschieden. Der Entscheidung lag eine nüchterne Überlegung zugrunde; was er an Chic verlor, gewann er an Status. Sein Geschäft war die Beratung von und die Vermittlung zwischen Regierungen, und Regierungen zogen es vor, mit Männern zu verhandeln, die nicht wie Jünglinge aussahen.
    Er war klein von Gestalt, aber ungewöhnlich breit und stämmig. Seine massigen Schultern, sein dicker Brustkasten und seine langen Arme hätten besser zu einem Riesen gepasst. Stand er auf, offenbarte sich Boardman als ein rundlicher kleiner Mann, aber hinter einem Konferenztisch hatten sein massiger Oberkörper und der fleischig-schwere Schädel etwas Ehrfurchtgebietendes.
    Sein Gesicht schließlich strahlte Autorität aus. Sein Kinn war trotz der Einrahmung durch Hängebacken und Fettwülste kräftig, seine Nase dick und groß, seine Lippen fest und sinnlich zugleich, die Augenbrauen zottig und grau unter einer mächtigen, kantigen Stirn, deren knochige Überaugenwülste einem Neandertaler Ehre gemacht hätten. Er trug sein Haar lang; die ungepflegten Strähnen hingen ihm bis auf die Schultern. An seinen dicken Fingern blitzten drei Ringe. Einer von ihnen enthielt einen winzigen Kreiselkompass aus Platin und Rubinen. Seine Kleidung war konservativ und etwas pompös, aus schwerem Material und von fast mittelalterlichem Schnitt. In einer anderen Epoche hätte man ihn vielleicht für einen Fürsten oder einen Kardinal halten können, aber er war auch in seiner Zeit ein wichtiger Mann. Die Unbequemlichkeiten des Reisens waren der Preis, den er für seine Wichtigkeit bezahlen musste. Bald würde er wieder auf einem fremden Planeten stehen, wo die Luft den falschen Geruch, wo der Sonnenschein nicht die richtige Tönung hatte
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