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Ewig Dein

Ewig Dein

Titel: Ewig Dein
Autoren: Daniel Glattauer
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haben.« Das hatte sie überhaupt nicht kokett, sondern völlig ernst gemeint. Er: »Das braucht Sie wirklich nicht zu wundern.« Jetzt sah er sie seltsam an, seltsam verklärt für einen Familienvater mit acht Bananen. Nein, das waren nicht die Momente, mit denen Judith etwas anzufangen wusste. Unter den Wangen wurde ihr heiß. Sie musste noch dringend einen Anruf erledigen, erkannte sie an den Zeigern ihrer Armbanduhr. Er: »Na dann.« Sie: »Ja.« Er: »Hat mich sehr gefreut.« Sie: »Ja.« Er: »Vielleicht sieht man sich wieder.« Sie: »Wenn Sie einmal eine Lampe brauchen.« Sie lachte, um die Situationstragik ihrer Bemerkung zu überlagern. Bianca kam dazu, diesmal zum günstigsten aller Zeitpunkte. »Darf ich, Frau Chefin?« Sie meinte, dass es Zeit war, nach Hause zu gehen. Auch für den Bananenmann war das das Signal zum Aufbruch. Bei der Tür drehte er sich noch einmal um und winkte wie am Bahnhof, aber nicht wie zum Abschied, sondern wie einer, der jemanden abholte.
     
4.
    Am Abend dachte Judith ein paar Mal flüchtig an ihn, nein, nicht flüchtig, aber an ihn. Wie hatte er gesagt? »Das braucht Sie nicht zu wundern.« Oder hatte er sogar gesagt: »Das braucht Sie wirklich nicht zu wundern«? Und hatte er dabei nicht »Sie« betont? Doch, er hat »Sie« betont. Er hat gesagt: »Das braucht SIE wirklich nicht zu wundern.« SIE im Sinne von: »So eine Frau wie Sie.« Nett, irgendwie, dachte Judith. Er hat vielleicht sogar gemeint: »Das braucht SIE, eine Frau, die so aussieht wie Sie, eine so schöne, interessante Frau«, hat er gemeint, »so eine wunderschöne Frau, so eine atemberaubend schöne, intelligent aussehende, kluge, coole Frau, ja so eine Frau wie SIE«, hat er gemeint, »so eine Frau braucht das wirklich nicht zu wundern«, dass er sie erkannt hat. Sehr nett, irgendwie, dachte Judith.
    »So eine Frau wie Sie«, hat er nämlich gemeint, »so eine Frau, die sieht man einmal«, zum Beispiel wenn man ihr gerade in der Käseabteilung die Ferse zertrümmert hat, »die sieht man einmal und man kriegt sie nie wieder aus dem Sinn und schon gar nicht aus den Sinnen«, hat er gemeint. Eigentlich sehr, sehr nett, irgendwie, dachte Judith.
    Sie wollte schon aufhören, daran zu denken, weil sie keine zwanzig mehr war, weil sie die Männer kannte und nicht mehr so leicht bereit war, in ihren Vorstellungen vom Plural abzuweichen, und weil sie bei Gott Wichtigeres zu tun hatte, weil sie gerade die Kaffeemaschine entkalken wollte, aber einmal dachte sie noch daran, nur ganz kurz, wie er das »Sie« betont hat, das »Sie« von »Das braucht SIE wirklich nicht zu wundern«. War es das »Sie« von »So eine Frau wie Sie«? Oder klang es nicht noch spezifischer und gewählter nach »Sie«, im Sinne von: »SIE. SIE. JA SIE! Einzig und alleine SIE.« Dann hat er wohl gemeint: »Jede Frau der Welt hätte das wundern dürfen, jede, nur nicht SIE, denn SIE, Sie sind nicht nur keine Frau wie alle anderen, nein, Sie sind eine Frau wie keine andere. Und SIE, SIE, JA SIE! Einzig und alleine SIE«, hat er gemeint, »braucht das wirklich nicht zu wundern«, dass er sie erkannt hat. Eigentlich sehr, sehr nett, ja sehr sogar, dachte Judith. Doch leider, daran war nicht zu rütteln: Es HAT sie tatsächlich gewundert, dass er sie erkannt hat. Und darum ging es. Und deshalb entkalkte sie jetzt die Kaffeemaschine.
    Am nächsten Tag kam er ihr nur noch ein einziges Mal, zwangsläufig, in den Sinn. Bianca behauptete plötzlich: »Frau Chefin, ich hab was bemerkt.« Judith: »Echt? Da bin ich aber neugierig.« Bianca: »Der Mann steht volle auf Sie.« Judith, und das war hohe Schauspielkunst: »Welcher Mann?« Bianca: »Na, der große, der das Büro in der Nähe hat, der guten Tag gesagt hat, der hat Sie bitte volle arg angeschaut.« Bianca schaukelte mit ihrem Kopf und ließ ihre hübschen dunklen Pupillen ein paar Runden kreisen. Judith: »Geh, Blödsinn, das bilden Sie sich ein.« Bianca: »Das bilde ich mir bitte überhaupt nicht ein! Der ist volle verliebt in Sie, Chefin! Checken Sie das nicht?« Das war laut und unverschämt, aber ausgerechnet Bianca konnte sich bei ihr so etwas leisten, denn sie hatte keine Ahnung, dass sie es sich leisten konnte, sie tat es einfach. Judith schätzte ihre respektlose, reflexartige Aufrichtigkeit. Aber natürlich lag das Mädchen in diesem Fall vollkommen falsch. Der Mann stand nämlich überhaupt nicht auf sie, so ein Blödsinn, Lehrmädchenphantasien. Er kannte sie ja gar nicht, nur die Ferse,
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