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Esquivel, Laura - Bittersuesse Schokolade

Esquivel, Laura - Bittersuesse Schokolade

Titel: Esquivel, Laura - Bittersuesse Schokolade
Autoren: Laura Esquivel
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Esperanza nachts ruhig schlief, oder wie man die Kleine anzog, sie herzte und küßte, sie in den Schlaf wiegte, so wie sie selbst es immer machte. Tita dachte, am besten würde sie die Farm einfach verlassen. Pedro hatte sie enttäuscht; Rosaura könnte ohne sie ihr Leben wieder in Ordnung bringen, und die Kleine würde sich über kurz oder lang sowieso daran gewöhnen müssen, daß ihre Mutter für sie sorgte. Würde Tita sie weiterhin Tag für Tag mehr ins Herz schließen, könnte es ihr später einmal nicht besser ergehen als bei Roberto. Denn es war nun einmal nicht daran zu rütteln, daß dies hier nicht ihre Familie war und man sie jederzeit mit der gleichen Selbstverständlichkeit fortjagen konnte, wie man einen Stein beim Verlesen der Bohnen entfernt. John hingegen bot ihr die Gründung einer eigenen Familie, die ihr niemand streitig machen würde. Er war ein wunderbarer Mann und liebte sie über alles. Es würde ihr bestimmt nicht schwerfallen, sich mit der Zeit unsterblich in ihn zu verlieben. Plötzlich wurde sie von einem Lärm aus ihren Grübeleien hochgeschreckt, den die Hühner im Hof mit einem ohrenbetäubenden Gegacker veranstalteten. Wie verrückt gebärdeten sie sich, es war gerade so, als wollten sie sich als Kampfhähne aufspielen. Beim Versuch, sich gegenseitig die letzten Tortillabröckchen auf dem Boden streitig zu machen, hackten sie wie wild aufeinander los. Sie hüpften und flatterten aufgeregt durcheinander und griffen sich wahllos gegenseitig an. Eine Henne war noch aggressiver als alle anderen; wütend hackte sie jeder, die sie erwischte, die Augen aus, wobei sie Esperanzas blütenweiße Windeln über und über mit Blut bespritzte. Von Entsetzen gepackt warf sich Tita dazwischen und versuchte mit einem kalten Guß aus dem Wassereimer dem Gemetzel ein Ende zu setzen. Doch damit erreichte sie lediglich, daß die Hühner noch mehr in Rage gerieten und den Kampf verschärften. Jetzt bildeten sie einen Kreis, in dem sie wie die Furien hintereinander her jagten. Plötzlich aber holte sie wie von selbst die Kraft wieder ein, die sie in ihrer wahnwitzigen Raserei vergeudeten, und schon konnten sie sich des Gestöbers aus Federn, Staub und Blut nicht mehr erwehren, das aufwirbelte und immer heftiger wurde, bis es wie ein Tornado alles niedermachte, was sich ihm in den Weg stellte, angefangen bei den nächsten Gegenständen, in diesem Fall Esperanzas Windeln auf der Wäscheleine im Hof. Tita versuchte mit Mühe und Not, einige zu retten, doch als sie darauf zustürzte, wurde sie von der Wucht des Wirbelwindes fortgerissen, der sie mehrere Meter über den Boden hob, sie inmitten der wütenden Schnabelhiebe dreimal um die eigene Achse drehte und schließlich mit aller Wucht bis ans andere Ende des Hofes schleuderte, wo sie wie ein Kartoffelsack zu Boden fiel.
    Zu Tode erschrocken blieb sie dort bäuchlings liegen, ohne einen Mucks zu sagen. Lange Zeit rührte sie sich nicht vom Fleck. Sollte der Wirbelwind sie erneut mitschleifen, liefe sie Gefahr, daß die Hühner auch ihr ein Auge aushackten. Der ungeheure Hühnerwirbel bohrte solche Löcher in den Boden des Hofes, daß schließlich ein tiefer Schacht entstand, in dem die meisten für immer vom Erdboden verschwanden. Die Erde verschluckte sie buchstäblich. Nur drei Hühner überlebten diese Schlacht, völlig kahlgerupft und einäugig. Von den Windeln freilich wurde keine einzige gerettet.
    Tita klopfte sich nach einer Weile den Staub ab und schaute sich auf dem Patio um: Keine Spur war von den anderen Hühnern geblieben. Was sie jedoch am meisten schmerzte, war das Verschwinden der Windeln, die sie mit soviel Liebe umhäkelt hatte. Sie mußten schnellstens durch neue ersetzt werden. Doch bei Licht betrachtet war das ja nicht mehr ihre Sorge; hatte Rosaura nicht gesagt, sie solle sich von Esperanza fernhalten? Nun gut, dann mußte ihre Schwester ihre Probleme eben allein lösen, und Tita würde sich um ihre eigenen kümmern, was im Augenblick nichts anderes bedeutete, als das Mahl für John und Tante Mary zu beenden.
    Also begab sie sich rasch in die Küche und schickte sich an, die Bohnen fertigzumachen, doch wie verblüfft war sie dann, als sie feststellte, daß die Bohnen trotz der vielen Stunden auf dem Feuer immer noch nicht weichgekocht waren.
    Zweifellos ging es hier nicht mit rechten Dingen zu. Tita entsann sich, daß Nacha immer gesagt hatte, wenn zwei oder mehr Personen bei der Zubereitung von Tamales stritten, würden diese nicht gar.
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