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Es war einmal oder nicht: Afghanische Kinder und ihre Welt (German Edition)

Es war einmal oder nicht: Afghanische Kinder und ihre Welt (German Edition)

Titel: Es war einmal oder nicht: Afghanische Kinder und ihre Welt (German Edition)
Autoren: Roger Willemsen
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Panzer, Hubschrauber und Kämpfende. Das Projektil der Kalaschnikow findet sich eingewebt in Taschen, Beutel, Tücher, Satteldecken und Kissen, um immer wieder an die Grausamkeit des Krieges und den Heroismus der Kämpfenden zu erinnern.
    Die Kinder stellen außerdem selbst Kriegsspielzeug aus Holz, Draht, Blech her, basteln Spiel-Kalaschnikows. Die Taliban hatten auch sie verboten, ebenso wie die kindlichen Darstellungen der Kriegserfahrungen in Bunt- oder Filzstift, die Bilderträume vom besseren Leben. Zeichnungen auf Papier aus jener Zeit sind also selten, erst relativ spät sind sie wieder, meist angeregt durch westliche Förderung, entstanden. Zuvor fand man eher Ritzarbeiten auf Holz, gemalte Darstellungen an Außenwänden, unseren Graffiti nicht unähnlich. Natürlich hatte es vor den Taliban in Afghanistan Malerei gegeben, unter ihrer Herrschaft aber durften Schülerinnen mancherorts nur Blumen und Landschaften malen, aber keine Menschen und Tiere. Die therapeutische Bedeutung der Malerei für ihr Leben, als Bearbeitung von Traumata, als Objektivierung des Verdrängten, haben die Kinder erst spät erfahren.
    Während das Drachensteigenlassen auch von den halbwüchsigen Jungen und Männern praktiziert wird, ist das Arabe bazi, das Reifenspiel, dagegen ganz den kleinen Kindern vorbehalten. Sie treiben einen gehärteten Gummireifen vor sich her, beschleunigen ihn immer wieder mit Hilfe eines Eisenhakens, und lassen ihn zwischendurch über den Boden tanzen.
    Verbreitet ist das Spielen mit Puppen. Zwar gibt es für die Mädchen die Flickenpuppen mit ihren bunten Kleidchen, den groß und ausdrucksvoll gestickten Augen, dem wallenden schwarzen Haar aus Wollfäden. In einem so kinderreichen Land aber, das die Verantwortung für die Kleinsten so rasch in die Hände der Kleinen legt, spielt man eher mit lebenden Puppen. Kaum der Wiege entwachsen, werden die kleinen Geschwister den wenig älteren Mädchen anvertraut. Diese finden sich also plötzlich in der Mutterrolle, füllen sie »spielend« aus und gelangen so allmählich in die Arbeitswelt der Eltern.

    Angesichts der Autorität der Alten, des uneingeschränkten Respekts, den sie genießen, wachsen afghanische Kinder in eine Welt hinein, in der sie zunächst ihre Interessen zurückzustellen und sie dem Familien-, wenn nicht dem Gemeinwohl unterzuordnen haben. In der Nahrungskette stehen sie hinter den Alten und den Gästen. Sie mischen sich in keine Unterhaltung Erwachsener ein und genießen ihre Freiheit nur außerhalb der vier Wände ihres Zuhauses.
    Meist bleibt den Kindern deshalb auch nicht viel Zeit zum Spielen. Kaum herangewachsen, unterstützen sie die Eltern bei der Feldarbeit, in den Geschäften, auf dem Basar oder auf der Straße, die Mädchen helfen vor allem im Haushalt, bei den Textilarbeiten, beim Teppichknüpfen. Ladenbesitzer verpflichten Jungen zum Transport der Ware, zum Teekochen, Verpacken, zu Botengängen und zum Saubermachen. So lernen schon die Kleinen früh, Funktionen zu erfüllen und die Verantwortung zu schultern.
    Nur selten sieht man sie im Gespräch mit Erwachsenen. So umsorgt, wie es in westlichen Familien üblich ist, werden sie seltener, unterstehen sie doch vor allem der Autorität der Älteren. Häufig dagegen erkennt man in den Kleinen geduldige Beobachter, die stundenlang stumm zusehen können, wie sich die Welt um sie bewegt. Sie sind Augenzeugen – der Bombardierungen, Unfälle, Attentate, der Schwerstarbeit der Mütter, des Drogenkonsums der Väter. Davon erzählen, das malen sie.

    Dass man ihre Perspektive auf diese Welt ernst nehmen könnte, ist ihnen neu und manchmal ein wenig unheimlich. So eröffnet manches Kinderspiel den Kleinen schlicht einen eigenen Lebensraum. Natürlich sind die Autowracks und die ausgebrannten Panzer der Sowjets beliebte Spielplätze, aber manchen Ort statten die Kinder auch ganz allein aus: Aus Lehm und altem Papier werden kleine Häuser und Spielzeuge gebaut, aus Stoffresten Puppen und Bälle gefertigt, aus Glasperlen Lampen, Taschen und Ketten gebastelt. Auch Cola-Dosen, alte Autoreifen, Tierknochen, Drahtreste und Holz lassen sich zu Spielzeugen verarbeiten. Ein kleiner Hügel wird zur Rutsche und mit Wasser übergossen, damit man schneller hinunter kommt. Im Winter produzieren die Kinder ihre eigene Eiscreme, sofern sie nur Kuhmilch und Zucker auftreiben können.
    Man spielt Murmeln mit kleinen Steinen, spielt Hüpfspiele, Ballspiele, Seilspringen, Tauziehen, Kelick Danda (eine Art
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