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Erzählungen

Erzählungen

Titel: Erzählungen
Autoren: Edgar Allan Poe
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über den Abgrund spähte, »die Unbeschnittenen sind zahlreich wie der Sand am Meere – wie die Heuschrecken in der Wüste! Das Tal des Königs ist zum Tale Adommin geworden.«
    »Und dennoch«, fügte Ben-Levi hinzu, »kannst du mir nicht einen Philister weisen – nein, von Aleph bis Tau, von den Wüsten bis zu den Zinnen nicht einen einzigen –, der auch nur im geringsten größer wäre als der Buchstabe Jot!«
    »Laßt den Korb mit den Silberschekels herunter!« schrie hier ein römischer Soldat mit rauher, krächzender Stimme, die aus den Reichen Plutos hervorzudringen schien – »laßt den Korb mit der verfluchten Münze herunter, bei deren Aussprache ein edler Römer sich die Zunge zerbrochen hat! Beweist ihr denn so unserm Herrn Pompejus eure Dankbarkeit, der sich herabließ, eurem götzendienerischen Anliegen zu willfahren? Der Gott Phöbus, der ein wahrer Gott ist, hat seit einer Stunde seine Fahrt begonnen – und wolltet ihr nicht bei Sonnenaufgang an den Wällen sein? Aedepol! Meint ihr, wir, die Eroberer der Welt, hätten nichts Besseres zu tun, als vor jedem Hundeloch herumzustehen und mit den Hunden der Erde zu verhandeln? Herunter mit dem Korb! sag’ ich – und gebt acht, daß euer lumpiges Geld von hellem Glanz und rechtem Gewicht ist!«
    »El Elohim!« rief der Pharisäer aus, als die unharmonischen Laute des Zenturios an den Felsen des Abgrunds erdröhnten und in der Richtung des Tempels verhal ten – »El Elohim! Wer ist der Gott Phöbus? Wen ruft der Lästerer an? Du, Bazi-Ben-Levi, der du in den Gesetzen der Heiden belesen bist und unter denen weiltest, die sich mit Götzendienst befassen! – ist es Nergal, von dem der Götzendiener spricht? – oder Ashimah? – oder Nibhaz? – oder Tartak? – oder Adramalech? – oder Anamalech? – oder Sukot-Benit? – oder Dagon? – oder Belial? – oder Baal-Perit? – oder Baal-Peor? – oder Baal-Zebub?«
    »Wahrlich, es ist keiner von diesen – doch hüte dich, das Seil zu hastig durch die Finger gleiten zu lassen; denn sollte das Flechtwerk dort an jenem Felsenvorsprung hängen bleiben, so würden die heiligen Gegenstände elendiglich herausstürzen.«
    Mit Hilfe einer kunstlos gefügten Einrichtung wurde nun der schwere Korb achtsam zu der Menge hinabgelassen, und aus der schwindelnden Höhe konnte man sehen, wie die Römer sich um ihn drängten; wegen der großen Entfernung aber und eines zunehmenden Nebels konnte man keinen deutlichen Einblick in ihr Gehaben gewinnen.
    Schon war eine halbe Stunde dahingegangen.
    »Wir werden zu spät kommen,« seufzte der Pharisäer, als er nach Ablauf dieser Zeit in den Abgrund hinunterspähte – »wir werden zu spät kommen! Die Katholim werden uns vom Dienst ausschließen.«
    »Nie mehr, nie mehr werden wir im Überflusse leben,« erwiderte Abel-Phittim, »unsre Bärte werden nicht mehr vom Weihrauch duften – unsre Lenden mit hartem Tempelleinen gegürtet sein.«
    »Raca!« fluchte Ben-Levi, »Raca! Wollen sie uns mit dem Kaufpreis durchgehen oder, heiliger Moses, prüfen sie am Ende gar die Schekels des Tabernakels auf ihr Gewicht?«
    »Sie haben endlich das Zeichen gegeben,« rief der Pharisäer, »sie haben endlich das Zeichen gegeben – zieh an, Abel-Phittim! – und du, Bazi-Ben-Levi, zieh an! – Denn wahrlich, entweder halten die Philister den Korb noch fest, oder der Herr hat ihre Herzen erweicht, ein Tier von gutem Gewicht hineinzutun!« Und die Gizbarim zogen und zogen, während ihre Last durch den stärker zunehmenden Nebel schwerfällig aufwärts schwankte.
    »Bewahr’ uns!« – brach es nach Ablauf einer Stunde, als am Ende des Seils ein Gegenstand undeutlich sichtbar wurde, von den Lippen Ben-Levis.
    »Bewahr’ uns! – Pfui! es ist ein Widder aus dem Dickicht von Engedi und so buschig wie das Tal Josaphat.«
    »Es ist ein Erstling aus der Herde,« sagte Abel-Phittim, »ich erkenne es am Blöcken seines Mundes und am unschuldigen Bau seiner Glieder. Seine Augen sind schöner als Edelsteine, und sein Fleisch gleicht dem Honig des Hebron.«
    »Es ist ein gemästetes Kalb von den Weiden von Baschan,« sagte der Pharisäer, »die Heiden haben wundersam an uns gehandelt! Laßt uns unsre Stimmen in einem Psalm erheben! Laßt uns Dank sagen mit Schalmei und mit dem Psalter – mit Harfe und Flöte und Posaune!«
    Erst als der Korb nur noch ein paar Fuß von den Gizbarim entfernt war, bot sich den Blicken mit tiefem Grunzen ein Schwein von ungewöhnlichem Umfang.
    »O El Emanu!«
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