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Ernest Hemingway

Ernest Hemingway

Titel: Ernest Hemingway
Autoren: Ernest Hemingway
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Unterleib. Der Mann hat Glück. Ich habe kein Glück. Der kann ein Pferd, wenn er’s am Steigbügel hält, nicht treffen. Nichts wie Glück.»
    «Ich dachte, er hat erst Sie verwundet und nachher den Russen.»
    «Nein, den Russen zuerst, mich nachher. Die Zeitung war im Irrtum.»
    «Warum haben Sie ihn nicht erschossen?»
    «Ich hab nie einen Revolver bei mir. Wenn ich eine Waffe trüge, würde ich, bei meinem Glück, zehnmal im Jahr gehängt werden. Ich bin ein billiger Kartenspieler, sonst nichts.» Er hielt inne und fuhr dann fort. «Wenn ich eine Summe Geld verdient habe, setze ich sie aufs Spiel, und wenn ich spiele, verliere ich. Ich habe beim Würfeln bei 3000 Dollar gepaßt, und dann hab ich sechs geschmissen. Mit guten Würfeln. Mehr als einmal.»
    «Warum weitermachen?»
    «Wenn ich lange genug lebe, wird das Glück sich wenden. Ich habe jetzt seit fünfzehn Jahren Pech. Wenn ich jemals Glück habe, werde ich reich sein.» Er grinste. «Ich bin ein guter Spieler; tatsächlich würde es mir Spaß machen, reich zu sein.»
    «Haben Sie bei allen Spielen Pech?»
    «Bei allen und bei Frauen.» Er lächelte wieder und zeigte seine schlechten Zähne.
    «Wahrhaftig?»
    «Wahrhaftig.»
    «Und was läßt sich da machen?»
    «Weitermachen, langsam und abwarten, daß sich das Glück wendet.»
    «Aber bei Frauen?»
    «Kein Spieler hat Glück bei Frauen. Er ist zu beschäftigt. Er arbeitet nachts, wenn er bei der Frau sein sollte. Kein Mann, der nachts arbeitet, kann eine Frau halten, wenn die Frau was wert ist.»
    «Sie sind ein Philosoph.»
    «No, hombre. Ein Kleinstadtspieler. Eine kleine Stadt, dann eine andere, dann eine große Stadt, dann wieder von vorn anfangen.»
    «Dann in den Bauch geschossen werden.»
    «Zum erstenmal», sagte er. «Das ist nur einmal passiert.»
    «Ermüde ich Sie mit Reden?» fragte Mr. Frazer.
    «Nein», sagte er, «aber sicher ermüde ich Sie.»
    «Und das Bein?»
    «Ich brauche mein Bein nicht sehr. Ich kann mit Bein oder ohne Bein. Ich werde schon herumkommen.»
    «Ich wünsche Ihnen Glück, aufrichtig und von ganzem Herzen», sagte Mr. Frazer.
    «Gleichfalls», sagte er, «und daß die Schmerzen aufhören.»
    «Sie werden nicht anhalten, bestimmt nicht. Sie werden vergehen. Es ist unwichtig.»
    «Daß sie schnell vergehen.»
    «Gleichfalls.»
    An jenem Abend spielten die Mexikaner im Krankensaal Ziehharmonika und andere Instrumente, und es ging vergnügt zu, und das Geräusch vom Auseinanderziehen und Zusammenpressen der Ziehharmonika von den Schellen, dem Schlagzeug und der Trommel drang den Korridor entlang. Im Saal lag ein Rodeoreiter, der an einem heißen, staubigen Nachmittag vor einer Riesenmenge Zuschauern auf ‹Mitternacht› aus der abschüssigen Bahn gekommen war und jetzt mit gebrochenem Rückgrat dalag, und der, sobald er gesund genug sein würde, um das Krankenhaus zu verlassen, Lederarbeiten und Korbflechten lernen wollte. Da lag ein Zimmermann, der von einem Gerüst gestürzt war und beide Handgelenke und beide Knöchel gebrochen hatte. Er war wie eine Katze gesprungen, aber ohne die Elastizität einer Katze. Sie konnten ihn zusammenflicken, so daß er wieder arbeiten konnte, aber es würde lange Zeit dauern. Da lag ein etwa sechzehnjähriger Junge von einer Farm mit einem gebrochenen Bein, das schlecht eingerichtet worden war und noch einmal gebrochen werden mußte. Da lag Cayetano Ruiz, ein Kleinstadtspieler mit einem gelähmten Bein. Am anderen Ende des Korridors konnte Mr. Frazer hören, wie sie alle lachten und wie vergnügt sie bei der Musik waren, die die Mexikaner machten, die von der Polizei geschickt worden waren. Die Mexikaner waren in Stimmung. Sie kamen angeregt herein, um Mr. Frazer zu besuchen, und wollten wissen, ob sie ein besonderes Stück für ihn spielen sollten, und sie kamen noch zweimal von sich aus, um abends zu spielen.
    Das letzte Mal, als sie spielten, lag Mr. Frazer bei offener Tür in seinem Zimmer und hörte der lärmenden, schlechten Musik zu und kam nicht von seinen Gedanken los. Als sie fragten, was er gespielt haben wollte, bat er um die Cucaracha, die jene fatale Leichtigkeit und den Schmiß so vieler Melodien hat, bei deren Klang Männer in den Tod gegangen sind. Sie spielten lärmend und mit Gefühl. Die Melodie war besser als die meisten derartigen Melodien, fand Mr. Frazer, aber der Effekt war immer der gleiche.
    Obschon dieser Gefühlsmoment hinzugekommen war, hing Mr. Frazer weiter seinen Gedanken nach. Gewöhnlich vermied er
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