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Erich Kastner

Erich Kastner

Titel: Erich Kastner
Autoren: Gullivers Reisen
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habe keineswegs vergessen, daß ich sein Reich vor der Unterjochung und Sklaverei errettet hätte, machte ich ihm das liliputanische Kriegsschiff zum Geschenk. Da wurde er noch freundlicher. Leider gab es keinen leerstehenden Tempel, worin ich schlafen konnte. Er versprach, mir ein Haus bauen zu lassen. In etwa fünf Monaten sei es bezugsfertig. Ich lehnte höflich ab. Denn bis dahin hoffte ich, wieder in England und bei meiner Familie zu sein! Er fragte, ob meine Frau auch so groß sei wie ich. Und als ich das bejahte, sagte er, wie froh er sei, daß er keine so große Frau habe. Dann fragte ich, ob seine Frau auch so klein sei wie er. Und als er nickte, sagte ich, wie froh ich sei, daß ich keine so kleine Frau hätte. Dann lachten wir beide. Er war überhaupt ein lustiger Kaiser und lachte gerne. Ich übernachtete also im Freien und wickelte mich fest in die Bettdecke. Die Verpflegung am nächsten Tag ließ nichts zu wünschen übrig. Ärgerlicherweise kamen, genau wie anfangs in Liliput, Zehntausende von Besuchern, um mich zu bestaunen. Ich erzählte dem Kaiser, wiesehr diese Völkerwanderung der liliputanischen Industrie und Landwirtschaft geschadet habe. Deshalb erließ er ein Verbot mit schweren Strafen. Und so hatte ich bald die gewünschte Ruhe. Wenn ich nicht gerade schlief oder aß, musterte ich durch mein Taschenfernrohr das Meer und den Horizont. Irgendwann mußte doch einmal ein Schiff auftauchen, das mich zu den Menschen zurückbrachte! Doch das Meer und der Horizont blieben leer. Da ließ der Kaiser an alle Küstenbewohner den Befehl ergehen, überall Posten aufzustellen und den Ozean keine Minute unbeobachtet zu lassen. Wer etwas Auffälliges bemerke und melde, erhalte eine hohe Belohnung: einen Knopf von meiner Jacke.
    Schon tags darauf kam ein Kurier und meldete, ein Fischerjunge an der Westküste habe weit draußen im Meer ein riesengroßes gekentertes Schiff treiben sehen! Ich stürzte zum Meeresufer, und was sah ich? Zwar kein riesengroßes gekentertes Schiff, aber immerhin ein Ruderboot, groß genug für drei bis vier Menschen! Ob es jenes Boot war, worin ich mich zu retten versucht hatte, als die »Antilope« untergegangen war? Hatte es der Ozean fast zehn Monate für mich aufbewahrt? Ich watete hinaus und holte es an Land. Und welcher Schiffsname, glaubt ihr, stand am Bootsrand zu lesen? »Antilope«!
    Diese Fügung machte mir neuen Mut. Nachdem ich mich bei dem kleinen Fischerjungen bedankt und mir einen Knopf von der Jacke abgeschnitten hatte, den er vergnügt nach Hause rollte, bat ich den Kaiser um Bauholz für Masten und Ruder. Er schenkte mir einen Wald und schickte fünfhundert Forstarbeiter und achthundert Schiffsbauer zuhilfe.

    Nach vier Wochen war das Boot seetüchtig. Vierhundert Fleischer und Köche beluden es mit geräuchertem Fleisch von hundert Ochsen, zweihundert Schweinen und dreihundert Hammeln, mit tausend frischen Broten und zahlreichen Fässern mit Wasser und Wein. Auch einige lebende Milchkühe, Schafe und Pferde machte mir der Kaiser zum Geschenk sowie das nötige Futter für die niedlichen Tiere, und dann brachte er mich persönlich zum Hafen. Als ich aufs Meer hinausruderte, winkte er mir freundlich nach. Und seine Untertanen winkten mit ihm.
    Das geschah am 24. September 1701. Das Meer war friedlich, und auch sonst brachte mir das alte Boot unverhofftes Glück. Schon am dritten Tag sichtete mich ein Kauffahrteischiff, welches kurz darauf zum Zeichen, daß man mich bemerkt habe, eine Kanone abfeuerte und die Flagge hißte. Es kam aus Japan und segelte nach England zurück. Man setzte zwei Boote aus und holte mich samt meinem Boot an Bord. Endlich war ich wieder unter Menschen! Noch dazu unter Landsleuten! Ganz richtig wurde mir das erst klar, als der Kapitän eine Mahlzeit auftischen ließ. Der Koch brachte mir ein Hammelkotelett, das fast so groß war wie mein Handteller! Und einen Krug mit schäumendem Bier aus Liverpool! Den ersten Schluck werde ich bis an mein Lebensende nicht vergessen. Nachdem ich mir den Mund gewischt hatte, konnte der Kapitän seine Neugier nicht länger bezwingen. Die »Antilope«, sagte er, sei mit Mann und Maus untergegangen, auch der Schiffsarzt Lemuel Gulliver, für den ich mich ausgäbe, habe auf der Totenliste gestanden. Nun erzählte ich ihm also meine Abenteuer. Er hielt mich für einen Aufschneider, bis ich ihm die winzigen und possierlichen Kühe, Schafe und Pferde zeigte, die ich bei mir hatte. Nun war er endlich überzeugt. Am
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