Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Erich Kastner

Erich Kastner

Titel: Erich Kastner
Autoren: Der 35.Mai oder Konrad reitet in die Sudsee
Vom Netzwerk:
Wellen, und heute morgen war der
Äquator rostig. Und nun schrubbe ich den Rost weg.
Denn wenn er sich festfrißt, könnte der Äquator platzen,
und dann ginge der Globus in die Brüche.«
»Das beste ist, Sie pinseln Ihren blöden Äquator mit
Mennige an«, sagte das Pferd. »Dann kann er gar nicht
erst rosten.«
»Er muß doch aber ein bißchen rosten«, antwortete die
Frau. »Sonst verlier ich meine Anstellung.«
»Dann entschuldigen Sie gütigst«, meinte das Pferd.
»Ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten.«
»Oh, das macht fast gar nichts«, sagte die Frau bescheiden und scheuerte ihres Wegs.
Onkel Ringelhuth zog den Hut, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen. »Ehe Sie sich völlig in Ihre
Lebensaufgabe verlieren, noch eine Frage. Wie kommen
wir am schnellsten zur Südsee?«
»Rauf auf den Äquator, und dann immer geradeaus!«
rief die Frau.
»Ganz wie Sie wünschen«, sagte der Onkel und setzte
sich zögernd den Hut wieder auf.
»Also los, du oller Mustang!« schrie Konrad außer sich
vor Freude. Dem Pferd lief eine Gänsehaut übers Fell.
»Ich soll auf das Wellblech?« fragte es ängstlich. »Wenn
uns dort ein Sturm erwischt, mit Wasserhosen und solchen Sachen, gehen wir glatt übern Harz. Ihr reitet mich auf eigene Gefahr. Seit ich stellungslos bin, bin ich
nicht mehr versichert.«
»Hau ab, du schwarzer Schimmel!« rief der Onkel. Da sprang das Pferd geräuschvoll auf den Äquator
schmiegte sich an der schrubbenden Scheuerfrau vorbei
und zockelte südseewärts. Der Äquator schaukelte. Es
war zum Seekrankwerden.
    Das Festland war verschwunden. Sie sahen nur noch marineblaues Meer ringsum und die stählerne Schiene vor sich. Manchmal plätscherte eine kleine Welle über den Äquator hin. Dann wurde er naß, und das Pferd kam so ins Rutschen, daß sie im Chor losbrüllten und bei sich dachten: »Guten Morgen, Feierabend!«
    Und als sie gar einem Schild begegneten, auf dem zu lesen stand: » Es wird gebeten die Haifische nicht zu nekken!«, da fiel ihnen das Herz senkrecht in die Hosen. Auch dem Pferd, das gar keine Hosen anhatte.
    An allen Ecken und Enden tauchten Herden von Menschenhaien auf. Die Viecher waren groß wie Unterseeboote, steckten die gefährlichen Mäuler aus dem Wasser und sperrten sie auf, als ob sie gähnten. Sie hatten aber Hunger.
    »Das könnte denen so passen«, murmelte der Onkel. »Herr Apotheker«, sagte das Pferd, »die Tierchen haben sich in Ihren Bauch verliebt. Die wissen, was gut schmeckt.«
    »Werden Sie ja nicht frech«, rief Konrad. »Mein Onkel hat keinen Bauch! Merken Sie sich das!«
Ringelhuth war gerührt.
»Du bist ein braver Junge«, sagte er. »Und wenn Sie«, jetzt meinte er das Pferd, »wenn Sie ein Roß mit Gymnasialbildung sein wollen, dann könnte ic h das ganze Zutrauen …«
In diesem Moment schnellte einer der Haifische aus dem Wasser hoch in die Luft und schnappte gierig nach Ringelhuth. Aber Konrad traf, als gelte es einen Elfmeter, das bedauernswerte Tier mit der Stiefelspitze klar am Unterkiefer, und der Haifisch kehrte reumütig und mit einem komplizierten Kieferbruch in die salzigen Fluten zurück.
Daraufhin wandten auch die anderen Haie dem Äquator den Rücken, und die drei Reisenden hatten Ruhe.
»Wenn du nicht schon mein Neffe wärst, würde ich dich umgehend dazu ernennen«, erklärte der Onkel mit zitternder Stimme.
Das Pferd hustete ironisch.
Dann sagte es: »Sie werden sich mit Ihrer Freigebigkeit noch ruinieren.«
»Spotten Sie nur!« rief der Onkel. »Mein Neffe ist ideal veranlagt und weiß meine Bemerkung voll zu würdigen!«

    »Wenn ich offen sein soll«, meinte Konrad, »’ne Mark wäre mir lieber gewesen. Ich spar nämlich für ‘ne Dampfmaschine.«
»So ein geldgieriger Knabe«, knurrte Ringelhuth. »Nach meinem Tode erbst du ja doch alles.«
»Dann spielt er aber nicht mehr mit Dampfmaschinen«, sagte das Pferd und kicherte. Was blieb dem Onkel weiter übrig? Er holte sein Portemonnaie aus der Tasche und drückte dem Jungen eine Mark in die Hand.
»Hoffentlich will dich noch so ‘n Haifisch fressen«, meinte Konrad. »Dann verdien ich mir noch ‘ne Mark.« Es kam aber keiner mehr.
»Du hast keinen feinen Charakter«, sagte Ringelhuth. »Aber das ist nicht zu ändern. Es liegt bei uns in der Familie.«
Es konnte gar nicht mehr weit bis zur Südsee sein. Zu beiden Seiten des Äquators sah man schon Palmeninseln mit vorgelagerten Korallenriffen. Und vor den Reisenden tauchte eine mit tropischen Urwäldern versehene Küste auf. Das Pferd
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher