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Erebos

Erebos

Titel: Erebos
Autoren: Ursula Poznanski
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allerdings … wenn es nur eine CD war, warum hörte man nichts darüber? Das letzte Mal, als ein verbotener Film die Runde gemacht hatte, war er Tagesgespräch gewesen. Wer ihn schon gesehen hatte, erging sich in ausschweifenden Schilderungen, während die anderen neiderfüllt lauschten.
    Aber jetzt? Als würde stille Post gespielt, als würde eine geheime Parole die Runde machen. Die Eingeweihten schwiegen, flüsterten, sonderten sich ab.
    Nachdenklich schlug Nick den Weg zur Englischklasse ein. Die folgende Stunde war ziemlich langweilig, er hing seinen Gedanken nach und so merkte er erst nach zwanzig Minuten Unterricht, dass nicht nur Colin, sondern auch Jerome heute fehlte.
     
    Warmes Herbstlicht fiel auf Nicks Schreibtisch und färbte das Chaos aus Büchern, Heften und zerknitterten Arbeitsblättern golden. Das Englischessay, über dem Nick seit einer halben Stunde brütete, war gerade mal drei Sätze lang, dafür war der Seitenrand übersät mit Kringeln, Blitzen und Wellenlinien. Mist, er konnte sich einfach nicht konzentrieren, ständig gerieten seine Gedanken auf Abwege.
    In der Küche hörte er Mum rumoren und den Radiosender wechseln. Whitney Houston sang I will always love you – womit hatte er das eigentlich verdient?
    Er pfefferte seinen Stift auf den Schreibtisch, sprang auf und knallte die Tür zu. So ging es nicht weiter, er bekam einfach diese CDs nicht aus dem Kopf. Wieso hatte er noch keine davon? Und wieso erzählte ihm niemand etwas darüber? Wieder einmal versuchte er, Colin anzurufen, doch der hob – Überraschung! – nicht ab. Nick hinterließ ihm ein paar grobe Worte auf der Mailbox, scrollte weiter bis zu Jeromes Nummer und drückte auf wählen. Das Freizeichen ertönte einmal, zweimal, dreimal – dann wurde die Verbindung weggedrückt.
    Verdammt noch mal. Nick atmete tief durch. Das war doch lächerlich. Er setzte zu einer schwungvollen Bewegung an, mit der er sein Handy in den Rucksack schleudern wollte, hielt aber plötzlich inne. Eine Idee kitzelte ihn mit federleichten Flügeln. Er hatte auch Emilys Nummer hier gespeichert.
    Bevor ihm zu viele Gründe einfallen konnten, warum er es besser nicht tun sollte, hatte er schon gewählt. Wieder drang das Freizeichen an sein Ohr, einmal, zweimal »Hallo?«
    »Emily? Äh, ich bin’s, Nick. Ich wollte dich nur etwas fragen … Es geht um heute … in der Schule …« Er kniff die Augen zusammen, atmete durch.
    »Wegen der Chemiearbeit?«
    »Nein. Äääh … ich habe zufällig gesehen, dass Rashid dir etwas geben wollte. Kannst du mir sagen, was das war?«
    Es dauerte einige Sekunden, bis Emily antwortete. »Wieso?«
    »Na ja, es ist, weil … Ein paar Leute benehmen sich komisch in letzter Zeit. Es fehlen auch sehr viele in der Schule, ist dir das schon aufgefallen?« Na also, endlich bekam er ganze Sätze heraus. »Und ich glaube, es hat etwas mit diesen Dingern zu tun, die die Runde machen. Darum … Du verstehst schon. Ich würde gern wissen, worum es da geht.«
    »Weiß ich selbst nicht.«
    »Hat Rashid dir nichts darüber gesagt?«
    »Nein, er hat mich ausgefragt, wollte Dinge über meine Familie wissen, die ihn überhaupt nichts angehen. Ob sie mir viele Freiheiten lassen und so.« Sie lachte kurz und freudlos auf. »Und ob ich einen eigenen Computer habe.«
    »Aha.« Nick mühte sich vergeblich, aus diesen Informationen schlau zu werden. »Hat er gesagt, wozu du den Computer brauchen würdest?«
    »Nein. Er sagte nur, dass er mir etwas ganz Einmaliges geben würde, besser als alles, was mir bisher untergekommen ist, und dass ich es mir allein ansehen soll.« Emilys Tonfall war deutlich zu entnehmen, was sie von der Sache hielt. »Er war ziemlich hektisch und aufdringlich. Aber das hast du ja gesehen.«
    Der letzte Satz klang schnippisch. Nick fühlte, wie er errötete. »Hab ich«, sagte er. Eine Pause trat ein.
    »Was denkst du, was es ist?«, fragte Emily schließlich.
    »Keine Ahnung. Ich werde Colin fragen, wenn er wieder in der Schule ist. Oder … Ich meine, vielleicht hast du eine bessere Idee.« Es blieb still in der Leitung.
    »Nein«, sagte Emily dann. »Ehrlich gesagt, ich habe mir darüber noch nicht so viele Gedanken gemacht.«
    Vor seinem nächsten Satz holte Nick tief Luft. »Möchtest du es wissen, falls ich etwas herausfinde? Nur, wenn es interessant ist, natürlich.«
    »Ja, sicher«, sagte Emily. »Klar. Nur jetzt muss ich aufhören, ich hab noch zu tun.«
    Nach dem Gespräch war der Tag für Nick gerettet.
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