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Erebos

Erebos

Titel: Erebos
Autoren: Ursula Poznanski
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verstehst.«
     
    Um halb sechs war die Northern Line voll bis auf den letzten Stehplatz. Nick und Jamie, auf dem Weg ins Kino, standen eingequetscht zwischen müden, schwitzenden Menschen. Immerhin ragte Nick über die Massen hinaus und bekam unverbrauchte Luft, während Jamie rettungslos zwischen einem Anzugträger und einer großbusigen Matrone eingekeilt war.
    »Und ich sage dir, da stimmt etwas nicht«, beharrte Nick. »Dan hat Colin behandelt wie seinen Laufburschen. Und mich wie ein Kleinkind. Das nächste Mal …« Nick hielt inne. Was würde er das nächste Mal tun? Dan eins auf die Nase hauen? »Das nächste Mal zeige ich ihm, wo es langgeht«, beendete er seinen Satz.
    Jamie zuckte mit einer Schulter, für mehr Bewegung war kein Platz. »Ich glaube, du redest dir da was ein«, sagte er gleichmütig. »Vielleicht hofft Colin, dass Dan ihm in Spanisch hilft. Er gibt vielen Leuten Nachhilfe.«
    »Nein. Das war es nicht. Du hättest sie hören sollen!«
    »Dann heckt er vielleicht etwas aus.« Jamies Grinsen dehnte sich weiter, bis an die Backenzähne. »Er verarscht die beiden, verstehst du? So wie damals, als er Alex eingeredet hat, dass Michelle auf ihn steht. Das war Spaß für Wochen!«
    Wider Willen musste Nick lachen. Colin war so überzeugend gewesen, dass Alex die schüchterne Michelle regelrecht verfolgt hatte. Natürlich flog die Sache auf und Alex gelang für ein paar Tage lang der Farbwechsel nicht mehr. Er blieb durchgehend knallrot.
    »Das ist zwei Jahre her, da waren wir gerade mal vierzehn«, sagte Nick. »Und es war kindischer Schwachsinn.«
    Die Waggontüren glitten auf, ein paar Leute stiegen aus, ungleich mehr drängten herein. Eine junge Frau mit hohen Absätzen trat Nick mit ihrem vollen Gewicht auf den Fuß und der Schmerz vertrieb für die nächsten Minuten jeden Gedanken an Colins seltsames Verhalten.
    Erst später, als sie im dunklen Kinosaal saßen und Werbespots über die riesige Leinwand liefen, hatte Nick wieder das Bild von Colin an der Seite der beiden Freaks vor Augen. Alex’ eifrig leuchtender Blick, Dans überlegenes Grinsen. Colins Verlegenheit.
    Da ging es nicht um Nachhilfe, nie im Leben.
     
    Das ganze Wochenende über war von Colin nichts zu sehen und zu hören und auch am Montag sprach er mit Nick nur das Nötigste, immer schien er auf dem Sprung zu sein. In einer der Pausen beobachtete Nick ihn dabei, wie er Jerome etwas zusteckte. Etwas Dünnes aus spiegelndem Plastik. Jerome sah milde interessiert aus, während Colin auf ihn einredete, dabei hektisch gestikulierte und sich dann wieder davonmachte.
    »He, Jerome.« Nick ging auf ihn zu, betont gut gelaunt. »Sag mal, was hat Colin dir gerade gegeben?«
    Schulterzucken. »Nichts Besonderes.«
    »Zeig doch mal her.«
    Einen Moment lang sah es aus, als wolle Jerome in seine Jackentasche greifen, bevor er sich eines Besseren besann.
    »Wieso interessiert dich das?«
    »Nur so. Reine Neugierde.«
    »Ist nichts Wichtiges. Und überhaupt, frag doch Colin.« Damit drehte Jerome sich um und gesellte sich zu ein paar Leuten, die eben die aktuellen Fußballergebnisse diskutierten.
    Nick holte seine Englischbücher aus dem Spind und schlenderte in die Klasse, wo sein Blick wie immer zuerst an Emily hängen blieb. Sie zeichnete, konzentriert und mit gesenktem Kopf. Ihr dunkles Haar hing bis aufs Papier hinunter.
    Er riss sich von dem Anblick los und steuerte auf Colins Pult zu – doch dort thronte Häkelschwester Alex. Er und Colin steckten die Köpfe zusammen und flüsterten.
    »Du kannst mich mal«, murmelte Nick düster.
    Am nächsten Tag kam Colin nicht zur Schule.
     
    »Da kann alles Mögliche im Busch sein. Hey, normalerweise bin doch ich der Misstrauische von uns beiden!« Jamie knallte wie zur Bekräftigung die Tür seines Spinds zu. »Hast du dir schon überlegt, ob Colin vielleicht verknallt ist? Da fangen die meisten an zu spinnen.« Jamie verdrehte die Augen. »In Gloria zum Beispiel, wer weiß? Oder in Brynne. Nein, die schmachtet ja bloß nach dir, Nick, alter Frauenheld.«
    Nick hörte nur mit halbem Ohr hin, denn ein Stück den Gang entlang, vor den Toiletten, standen zwei Jungs aus der Siebten. Dennis und … einer, dessen Name Nick partout nicht einfiel. Jedenfalls redete Dennis hektisch auf den anderen ein, wobei er ihm etwas unter die Nase hielt: ein schmales, quadratisches Päckchen. Der Anblick kam Nick sehr bekannt vor. Der andere grinste und ließ das Ding betont unauffällig in seiner Tasche
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