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ePub: Drachenhaut (German Edition)

ePub: Drachenhaut (German Edition)

Titel: ePub: Drachenhaut (German Edition)
Autoren: Frances G. Hill
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bot einen Anblick, der nicht mehr viel mit dem zu tun hatte, woran Lilya sich erinnerte. Sie hatte den Palast des Shâyas Faridun als einen Ort der Pracht und des Hochmuts, der Schönheit und der Ruhe kennengelernt, und später war er ihr düster und voller Gefahren erschienen, ein Ort der Kerker und des Schmerzes, der Trauer und des Todes.
    Als sie jetzt durch die Vorhöfe und Hallen schritt, die von lachenden, schimpfenden, staunenden und geschäftigen Menschen erfüllt waren, war das Serail nur noch ein Gebäude wie jedes andere. Soldaten reinigten ihre Waffen und kümmerten sich um ihre Ausrüstung, eine Gruppe von Wüstenleuten ließ sich von einem Gardisten den Weg zu den Vorratskammern zeigen, Diener gingen ungerührt ihrer Arbeit nach, aus der Küche drang der Lärm von klappernden Töpfen und lauten Stimmen, Kamele brüllten und Esel schrien, ein Mann stieß laute Flüche aus und Frauenstimmen sangen.
    Lilya durchschritt das lebhafte Gewimmel wie im Traum. Amayyas hatte sie rufen lassen, aber auch ohne seinen Wunsch – oder Befehl? – wäre sie auf die Suche nach ihm gegangen. Sie hatte Yanis Bericht über die Einnahme des Palastes und den Tod des Shâyas gehört. Yani war bis ins Mark erschöpft und aufgewühlt gewesen, aber seine Augen hatten geleuchtet und er hatte sie ungestüm in seine Arme geschlossen. «Wir haben gesiegt«, hatte er ein ums andere Mal gerufen und sie geküsst, dass ihr der Atem stockte.
    Und nun war sie auf dem Weg, um die Befehle des neuen Shâyas entgegenzunehmen und ihm Glück zu wünschen.
    Amayyas stand mit gedankenverloren gesenktem Kopf mitten in dem prächtigen Thronsaal. Die Stufen zum Thron waren offensichtlich vor Kurzem gründlich geschrubbt worden, aber Lilya konnte mit ihrer Drachensicht erkennen, dass auf ihnen Blut geflossen war und eine große Hitze den Stein glasig gebrannt hatte.
    Sie schauderte und wandte den Blick ab, um Amayyas anzusehen. Sie wollte sich verbeugen, aber die Qual in seinem Gesicht ließ sie alle Förmlichkeiten vergessen. Sie streckte die Hände aus und zog ihn in eine feste Umarmung. »War es schlimm?«, flüsterte sie.
    Er nickte stumm und ließ sich für einen Moment gegen sie sinken. Lilya hielt ihn fest und rieb tröstend über seine Schulterblätter. »Erzähl es mir«, sagte sie.
    Amayyas schüttelte den Kopf und löste sich aus ihrer Umarmung. Er rieb sich über die Augen, und sein Gesicht, müde und hager, mit dunklen Bartschatten, ließ sie an den Tag zurückdenken, als sie ihn von seinem Fluch befreit hatte. Damals hatte er fast genauso ausgesehen: abgezehrt, ausgehöhlt, sich und der Welt fremd.
    Er fing ihren Blick auf und straffte die Schultern. »Ich denke, ich bin jetzt der Shâya«, sagte er rau. »Es gibt viel zu tun. Der Krieg hat das Land in einen desolaten Zustand versetzt. Ich frage mich, ob wir den Unseren mehr geschadet als genützt ...«
    »Du hast sie gesehen«, fiel Lilya ihm ins Wort. »Sie lachen und singen, tanzen in den Straßen. Dein Vater war ein harter König, Amayyas. Und dein Bruder ...« Sie schüttelte den Kopf.
    Amayyas seufzte. »Du hast recht.« Er griff nach ihrer Hand, hielt sie fest. »Ich danke dir.«
    Sie schüttelte den Kopf, nicht weniger müde als er. Eine aufregende und durch und durch kräftezehrende Zeit lag hinter ihnen – und wahrscheinlich würden die nächsten Monate nicht viel anders aussehen. »Der Naga?«, fragte sie, als ihr Blick ungewollt wieder auf die glasig gebrannten Stufen fiel.
    Amayyas schauderte. Das war ihr Antwort genug. Sie zog ihn hastig zum Fenster und brachte ihn dazu, sich auf die Bank zu setzen und hinauszublicken. Die untergehende Sonne brach Reflexe in allen Farben des Regenbogens aus dem aufstäubenden Wasser des Brunnens.
    Amayyas griff wieder nach ihrer Hand. »Lilya«, sagte er mit einem Zögern in der Stimme, das bewirkte, dass sich ihre Nackenhärchen aufrichteten. »Ich wollte dich schon lange etwas fragen, aber ein Heerlager erschien mir nicht der rechte Ort dafür.« Er suchte nach Worten.
    »Amayyas«, sagte Lilya, die ahnte, was er sagen wollte, »nein. Bitte, frag mich nicht.«
    Er suchte ihren Blick. »Ich werde mich wohl oder übel mit der Krone anfreunden müssen«, sagte er leise. »Yani hat mir schon damit gedroht, dass er mich auf den Thron setzt, und wenn er mich vorher dafür fesseln und knebeln muss. Ich habe es nicht gewollt ... Aber das ist jetzt müßiges Geschwätz. Ich werde meine Pflicht tun. Aspantaman wird an meiner Seite sein und mich
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