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Enwor 11 - Das elfte Buch

Enwor 11 - Das elfte Buch

Titel: Enwor 11 - Das elfte Buch
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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sie von einem Riesen poliert worden. Nirgendwo gab es einen Spalt, nicht die kleinste Unebenheit, die auch nur genug Schatten gespendet hätte, um sich vor der Sonnenglut zu verkriechen. Ein geschickter Kletterer hätte sie sicherlich ersteigen können, wäre sie nur ein Zehntel so hoch gewesen, wie sie es nun einmal war, und der Stein nicht ganz so schlüpfrig und nass. Es auch nur zu versuchen, war der reine Selbstmord.
    Die Felswand erstreckte sich zur Rechten, so weit sein Blick reichte und vermutlich noch ein gutes Stück darüber hinaus. Links, über dem See, verschwand sie hinter einem glitzernden Vorhang aus Wasser, der brüllend aus der Höhe herabstürzte und dessen Wucht den Boden unter seinen Füßen ununterbrochen erzittern ließ. Das Dröhnen des Wasserfalls war so gewaltig geworden, dass es seine Ohren fast betäubte, und er bewegte sich nun durch einen Nebel aus unendlich feiner Gischt, der sich wie ein dünner glitzernder Film auf seine Haut legte.
    Je näher er dem Wasserfall kam, desto schwieriger wurde es, von der Stelle zu kommen. Der Boden bestand hier nur noch aus nacktem Fels, auf dem nicht einmal die kleinste Spur von Leben Fuß gefasst hatte. Das Wasser machte ihn schlüpfrig wie Glas und die scharfen Kanten taten seinen nackten Füßen weh. Er war dem Wasserfall jetzt so nahe, dass er die Ruinen an seinem Rand kaum noch erkennen konnte. Trotzdem konnte er sehen, dass er sich in ihrer Größe getäuscht hatte.
    Sie waren noch weitaus titanischer, als es von weitem ausgesehen hatte. Und auch die Zerstörungen waren schlimmer, als es bisher den Anschein gehabt hatte.
    Er blieb stehen, unschlüssig, was er tun sollte, aber auch beunruhigt. Die stiebende Gischt, die ihn einhüllte, gab ihm ein wenig Schutz vor der Sonne, aber er konnte nicht ewig hier bleiben. Sollte sich die Wand als wirklich unbesteigbar erweisen, dann hatte er ein Problem — vorsichtig ausgedrückt. Der tiefer gelegene Teil des Landes, in dem der See und die felsige Ebene lagen, schien vollkommen unfruchtbar zu sein. So weit sein Blick reichte, konnte er nichts als schwarzen Fels und von der Sonne zu steinerner Härte zusammengebackenes Erdreich erkennen. Irgendwo, tief in ihm, war zwar das Wissen, dass diese Ebene nicht endlos war. Der Fluss führte fast in gerader Linie nach Süden und in fruchtbare Gebiete. Aber das war nicht die Richtung, in der sein Ziel lag — ganz davon abgesehen, dass er vermutlich den Abend nicht erleben würde, wenn er versuchte nackt durch diese Sonnenglut zu marschieren.
    Nein — er musste dort hinauf, irgendwie.
    Er wich wieder um einige Dutzend Schritte zurück, legte den Kopf in den Nacken und beschattete die Augen mit der Hand, um mehr Einzelheiten erkennen zu können. Er war nicht ganz sicher, ob es ihm gelang. Dort oben schien sich etwas zu bewegen, aber es mochte ebenso gut eine Täuschung sein, hervorgerufen durch das grelle Licht und die wehenden Gischtschleier, die die Sonnenstrahlen brachen und alle Konturen zu verwischen schienen, als hätte sich die Welt dort oben aufgelöst, sodass die Dinge ineinander zu fließen begannen.
    Er fuhr sich mit Daumen und Zeigefinger über die Augen, blinzelte ein paarmal und sah abermals nach oben. Diesmal war er fast sicher eine Bewegung am oberen Rand der Klippe wahrzunehmen. Aber die Entfernung war einfach zu groß, um Einzelheiten zu erkennen. Er schüttelte resignierend den Kopf, wandte sich wieder um und sah noch in der Drehung eine Bewegung aus den Augenwinkeln.
    Ein winziger Punkt hatte sich vom oberen Rand der Klippe gelöst. Er stürzte rasch in die Tiefe — nicht direkt auf ihn zu, aber doch in seine Richtung —, verschwand für die Dauer eines Herzschlages hinter einem Vorhang aus nebeliger weißer Gischt und zerfiel in zwei Teile, als er wieder auftauchte.
    Es waren zwei Körper. Sie bewegten sich rasch auseinander und schienen immer schneller zu werden, während sie sich dem Boden näherten. Trotzdem schien der Sturz endlos zu dauern. Er fragte sich, wie es sein musste, mit dem absurden Wissen um den eigenen Tod dem Boden entgegenzurasen und nichts, absolut nichts dagegen tun zu können.
    Wenigstens ging es schnell. Der Sturz der beiden Körper kam ihm endlos vor, aber in Wahrheit dauerte er nur wenige Sekunden. Eine der beiden Gestalten kam dem stürzenden Wasser zu nahe und wurde von der glitzernden Wand einfach verschlungen, die andere stürzte fünfzig oder sechzig Meter entfernt in den See und wurde von einem Berg aus
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