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Engelstrompeten: Ein Hiddensee-Krimi (German Edition)

Engelstrompeten: Ein Hiddensee-Krimi (German Edition)

Titel: Engelstrompeten: Ein Hiddensee-Krimi (German Edition)
Autoren: Birgit Lautenbach , Johann Ebend
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Gedanken zu fassen.
    Erst recht keinen, der das Entsetzen in Schach hält, dass der Vater ein Mörder ist. Einer, der sich, die Kapuze seiner Jacke tief in die Stirn gezogen, nachts auf den Swanti schleicht und die Frau tötet, die er bis aufs Blut hasst.
    Weil sie ihn durchschaut. Weil sie sagt, was sie von ihm hält, ob er es hören will oder nicht. Dass er Frau und Sohn quält. Dass er sich und seine Wut nicht zügelt. Anderen schadet. Sie ängstigt und demütigt. Und dass er umkehren, zum Ewigen finden muss, zum Kosmos und seinem Platz darin.
    Sonst, hatte Wanda gesagt, sei er dem Leben verloren. Ein Mann auf dem Weg in das Land des Todes.
    »Du willst mir drohen? Gerade du?«, hatte der Vater geschrien.
    »Ich drohe nicht, Manfred. Ich kündige an. Das ist etwas vollkommen anderes, denn ich sage dir auch, dass du umkehren kannst. Zurück in den Schoß der Schöpfung. Zur Liebe. Zum Licht.«
    Ganz ruhig hatte Wanda dem Vater gegenübergestanden. Ohne Angst. Ohne zurückzuweichen, als er mit seinen Fäusten vor ihr herumfuchtelte. Tobte. Brüllte. So laut und so zornig, wie Harri ihn noch nie erlebt hatte. Als sei ein Damm gebrochen, hinter dem sich abgrundtief ein Hass gestaut hatte, der jetzt hervorbrach.
    »Schluss mit dem Quatsch! Liebe und Leben und Licht und dieser ganze verlogene Scheiß! Ich will’s nicht hören. Und ich will nicht, dass du meiner Familie deinen Hokuspokus in die Ohren bläst. Schluss, aus, Ende! Nie wieder setzt du einen Fuß in dieses Haus, kapiert? Nie wieder! Und jetzt raus, du verfluchte Hexe!«
    »Aber Manfred...« Die Mutter hatte nicht weitersprechen können. So hatte sie geschluchzt und gewimmert.
    »Du hältst die Schnauze!« Das Gesicht des Vaters war verzerrt gewesen vor Wut. »Sie geht, sage ich! Sofort. Und gnade dir Gott, du lässt sie jemals wieder ins Haus.« Er war hinausgestürmt und hatte die Tür mit solcher Wucht hinter sich zugeworfen, dass Harri auf seinem Stuhl zusammengezuckt war.
    Nun hockte er hier zwischen diesen zerborstenen Dingen und starrte mit leerem Blick auf die Jacke seines Vaters. Berührte sie vorsichtig mit den Fingerspitzen wie etwas, das einmal eine andere Bedeutung gehabt hatte. Etwas, das sie gemeinsam gehabt hatten, sein Vater und er. Den Tag auf der Fähre und die schwedische Jacke.
    Der große starke Vater und sein stolzer kleiner Sohn.
    Jetzt war sie ein Mordbeweis und der Sohn so verzweifelt, dass er zu zittern begann. Kaum die Hände dazu brachte, die Jacke zurück in die Tüte zu stopfen, sie an sich zu pressen und wie gelähmt dazusitzen. Sich einen Ort zu wünschen, an dem er sich verkriechen konnte. Einen warmen, sicheren Ort und jemanden, der all das Furchtbare von seinen Schultern nahm. Ihn tröstete und ihm zeigte, wie seine Welt wieder hell werden konnte.
    Wanda.
    Der Gedanke an sie und die Tränen kamen gleichzeitig. Sie konnte es. Ihn trösten und seine Welt wieder hell werden lassen. Sie brachte die Engel mit, den mit dem leuchtenden Schwert und den mit dem Umhang aus Sonnenlicht. Sie würden ihm so viel Mut und Kraft geben, dass er aushielt, was nicht auszuhalten war.
    Und plötzlich wusste Harri, an welchen Ort er sich sehnte.

    Pieplow hatte sich umgezogen. Die Uniform sorgfältig aufgehängt, bereit für den nächsten Einsatz. Die Waffe sicher verwahrt im brotkastengroßen Tresor, auf dem Benzlau als vorsichtiger Vermieter bei Vertragsabschluss bestanden hatte, weil Fiktion und Realität bitte schön zwei sehr verschiedene Paar Schuhe seien. Filme zu produzieren, in denen herumliegende Waffen für Spannung und blutige Szenen sorgten, sei zwar ein einträgliches Geschäft, aber etwas so Mordsgefährliches auf dem eigenen Grundstück jedem Verrückten zugänglich zu machen, bodenlos leichtsinnig.
    Pieplow war einverstanden gewesen, hatte den Mietvertrag für die Einliegerwohnung unterschrieben und sich gefragt, woher und wie wohl Verrückte auf das Grundstück der Benzlauschen Seemöwe kommen sollten.
    In den Jahren seitdem waren es dann doch einige gewesen. Laute, trinkfeste Filmschaffende, die auf Benzlaus legendären Inselfesten das Dramatische so liebten, dass man Waffen tatsächlich besser vor ihnen in Sicherheit brachte.
    Pieplow stand an der Treppe zum Kirchhof und fand es unpassend, hier auf Marie zu warten, ganz zivil in Polohemd, Jeans und Turnschuhen, und an seine Waffe zu denken. An das vertraute Gefühl, wie der Unterarm sie im Holster am Gürtel streifte.
    Als wenn er sie auf der Insel schon jemals gebraucht
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