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Engelsberg

Engelsberg

Titel: Engelsberg
Autoren: Reinaldo Arenas
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musste vielmehr etwas Heftiges, Einmaliges und Kurzes sein, das, wenn es explodiert, unsere Seele – und auch unseren Körper – in Flammen setzt und den Rest unseres Lebens zu Asche werden lässt, die wir willenlos durchwandern, angetrieben einzig von der Erinnerung.
    Eifersucht, Begierden, Leiden und Einsamkeit, von der Zeit in stillen Genuss verwandelt, vergängliche Lust, die sich über alles erhebt, weil sie kurz und verloren ist. Uns dort sehen, fern und unwiederbringlich, ein letztes Mal einander durchdringend, und jetzt, nur jetzt wie nie wieder diese Begegnung auskosten, die, würde sie länger währen, Langeweile würde. Eine Liebe, eine große Liebe, was war sie, wenn nicht eine Illusion, die wir anstacheln, mythisieren und mit unserer eigenen Einsamkeit nähren, mit unserem eigenen Elend und unserer eigenen Liebe? So hatte sie überhöht und mythisiert, was für Leonardo nicht mehr war als eine vorübergehende Begierde oder befriedigte Eitelkeit und gar vulgärer Instinkt. Sodass sie, dass alle die größten Schändlichkeiten des Geliebten in edle Taten umdeuteten (und umdeuten). Diesen Taten ergeben wir uns, diesen Taten unterwerfen wir uns. Und mit der Zeit nehmen diese Taten, die nie außergewöhnlich, nie edel, nie erhaben, sondern immer nur einfache Lebensäußerungen, flüchtige Launen, schnell gesättigte und vergessene vergängliche Ausschweifungen waren, fast magische, heilige, unfassbare Dimensionen an. Jetzt verstand sie es, jetzt verstand sie alles, und dennoch bereute sie nichts.
    Weil eine große Liebe nicht einmal die Geschichte eines großen Betrugs oder eines grausamen Verrats ist, der uns überrollt und nur maßlose Fassungslosigkeit in uns zurücklässt, sondern weil eine große Liebe die dürre Chronik eines Selbstbetrugs ist, dem wir uns freiwillig unterwerfen, den wir freiwillig erleiden – und genießen. Dinge, die wir den Umständen geschuldet wissen und die wir gleichwohl verherrlichen; Versprechen, an die wir uns klammern trotz der Gewissheit, dass sie so heftig, wie sie ausgesprochen, so schnell auch vergessen sind; Schwüre, die wir glauben, wohl wissend, dass sie nie in Erfüllung gehen werden, für die und dank derer wir leben. Weil eine große Liebe nicht die Geschichte einer großen Liebe ist, sondern die ihrer Erfindung.
    Sei diese Erfindung auch absurd, ende sie in Spott und Hohn oder finde sie ein jähes gewaltsames Ende, just, da wir sie aufs Höchste rühmen, so ist sie doch die elementare Bedingung, dass die Liebe groß wird. Jetzt verstand sie es. Und sie verstand noch mehr. Sie begriff, dass auch ihre Trauung vor Jahren schon in der Engelskirche stattgefunden hatte. Und zwar war es in dem Moment gewesen, da Leonardo an der Seite Isabel Ilinchetas erdolcht wurde, dass sich zwischen Cecilia und ihm die absolute und wahrhaft heilige Vereinigung vollzogen hatte. Weil eine große Liebe auch die Geschichte eines Scheiterns ist oder eines unwiederbringlichen Verlusts.
    So dachte Cecilia, während sie einmal mehr die Engelskirche betrat, den einzigen Ort, den sie jetzt häufig besuchte. Und auch wenn alle dachten, sie ginge dorthin, um Vergebung zu erflehen, so war doch gewiss, dass sie den Engelsberg nur hinaufstieg, um dem Himmel zu danken, dass er ihr das Glück zuteil hatte werden lassen, ihr offenbart hatte, was eine große Liebe wirklich ist. Ein Wissen, das sie nie erlangt hätte, wäre nicht Leonardo in der Blüte seiner Jugend gestorben (oder geopfert worden).
    In diesem Sinne – und schon sank sie auf die Knie – war sie den Göttern wahrhaft dankbar.

Kapitel 34 Von der Liebe
    Ob ihr wohl kalt ist? Hat sie vielleicht Hunger? Ist sie in Gefahr? Oder ob jemand ihre Verlassenheit ausnutzt? Sie mit Gewalt gefügig macht? Sie mit Gewalt in diesem Moment besitzt? Oder hat sie sich aus Not oder einfach aus purer Lust hingegeben, während ich, versteckt, gehetzt und umherirrend, ihren Namen beschwöre? Oder ist sie einsam, so einsam wie ich, und erinnert sich sogar manchmal an mich und hat sogar Zuneigung für mich empfunden? Mein Gott, ob sie leidet bei dem Gedanken, wie sehr ich friere, in welcher Gefahr ich in jedem Augenblick schwebe, welch wahrhaft trostloses Elend es ist, als Flüchtling zu leben, ohne Dach über dem Kopf zu schlafen, alles zu essen, dessen man nur habhaft werden kann, sich in einem Loch oder einer Höhle voller Ungeziefer zu verkriechen? Ob sie wohl weiß, was es bedeutet, wirklich allein zu sein, ohne sich mit irgendwem zusammentun zu
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