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Engel des Todes

Engel des Todes

Titel: Engel des Todes
Autoren: Michael Marshall
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geworden, oder auch ein in der Szene bekannter Choreograph für Jazz-Dance mit Namen Bewildergob. Keiner würde ihm auf die Schliche kommen oder sich überhaupt dafür interessieren. Er konnte tun und lassen, was er wollte. Freilich kam ihm auch die Erkenntnis, dass er eigentlich nichts wollte. Überhaupt nichts.
    Es gab nichts, worauf es noch ankäme. Er hatte die Grenze überschritten.
    Er trank, bis sein Hirn leer und kalt war.
    Die Idee, die ihm kam, war so überraschend, als hätte sie ihm ein Bogenschütze aus der Ferne zugedacht. Es gab da eine Möglichkeit, die Dinge wenn schon nicht zu verbessern, so doch in den Griff zu kriegen. Die Probleme loszuwerden. Er bestellte noch ein Bier und trug es zu einem Tisch in einer dunklen Ecke, um die Idee genauer zu durchdenken.
    Wie die meisten Menschen hatte auch er schon einmal an Selbstmord gedacht, aber nie wirklich ernsthaft. Hin und wieder streifte ihn der Gedanke, doch blieb die Idee lächerlich. Diesmal war es anders. Das hier war keine Anwandlung, sondern durch und durch rational. Seine Lage war noch nicht mal aussichtslos. Seine Ehe war kaputt, aber damit noch nicht alle Freundschaften. Er konnte sich einen neuen Job besorgen. Websites für andere Firmen entwerfen. Eine Wohnung suchen. Sich selbst um die Wäsche kümmern. Sich einen Mikrowellenherd anschaffen. In einem Jahr könnte alles anders aussehen. Wozu aber? Er wäre immer noch derselbe Tom, ein Mann ohne besondere Talente, der stets alles vor sich herschob und den die Stoffwechselpumpe des Alters langsam weiter aufblähte. Er wäre immer noch der Mann, der hier in Sheffer gestrandet war. Das Leben war schon jetzt mies genug – wozu noch den Rest herausfinden? Die Wahlmöglichkeiten, die er überdachte, bestanden nur noch in der Vergangenheit.
    Warum brachte er es nicht jetzt hinter sich? Einen Schlussstrich ziehen. Die Niederlage zugeben. Und hoffen, dass etwas an der Reinkarnation dran war, und es das nächste Mal besser machen.
    Warum nicht? Warum eigentlich nicht?
    Er trank, bis die Kneipe schloss, dann versuchte er noch mit den beiden jungen Barmännern zu plaudern, die ihn hinauskomplimentierten. Der eine reagierte gelangweilt, der andere mit milder Verachtung. Tom war vermutlich nicht viel jünger als ihre Väter, Hinterwäldler mit breiten Kinnladen, die sich höchstens einmal im Monat einen Schluck Bourbon oder Sour Mash gönnten. Die Tür wurde laut hinter ihm geschlossen. Während er zu seinem Motel torkelte, fiel ihm ein, dass er sich nun nicht mehr darum zu kümmern brauchte, was andere über ihn dachten. Sein Entschluss hob ihn auf eine höhere Ebene. Die konnten ihm jetzt den Buckel runterrutschen. Er ärgerte sich so sehr, dass er kehrtmachte und zur Kneipe zurückwankte. Er wollte Chip und Dale beibiegen, dass für Zwanzigjährige wie sie ja tolle Zeiten herrschen mochten, aber für Männer in der Lebensmitte sähe es anders aus; auch sie würden eines Tages langsamer treten müssen, und dann würden sie vergessen, wie die Liebe ging, und nicht mehr wissen, wer sie eigentlich waren. Das wäre eine beherzigenswerte Erkenntnis für sie. Eine andere hatte er nicht anzubieten, und die wollte er unbedingt mitteilen. Als er vor der Kneipe ankam, war dort alles abgeschlossen und dunkel. Er schlug eine Weile an die Tür, teils weil er glaubte, es müsse noch jemand drin sein, teils weil er unbedingt auf irgendetwas schlagen musste. Keine fünf Minuten später wurde er plötzlich von einem hellen Licht geblendet. Er drehte sich um und sah einen Streifenwagen des Sheriff Departments an der Straße hinter ihm halten. Ein junger uniformierter Beamter lehnte mit verschränkten Armen am Kotflügel.
    »Glauben Sie mir, da ist geschlossen«, machte er Tom klar.
    Tom wollte den Mund aufmachen, merkte aber, dass er zu viel zu sagen hätte und nichts davon verständlich wäre. Er hob die Arme nicht als Zeichen der Kapitulation, sondern als ein stummes Flehen. Erstaunlicherweise schien ihn der Polizist zu verstehen. Er nickte, ohne weiter etwas zu sagen, stieg in den Streifenwagen und fuhr davon. Tom machte sich auf den Weg zurück ins Motel. Er ging mitten auf der Straße im Dauerblinken der Ampeln, die jetzt keinen Verkehr mehr zu regeln hatten.
    Am nächsten Morgen ließ er sich alles noch einmal durch den Kopf gehen. Er hatte nur eine begrenzte Auswahl von Möglichkeiten. In der Stadt gab es kein Waffengeschäft, und die Gegend nach einem solchen abklappern wollte er nicht. Selbst wenn man ihm das
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