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Engel der Vergessenen

Engel der Vergessenen

Titel: Engel der Vergessenen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Taikky.«
    »Bin ich blind?« Der dicke Direktor fächelte sich mit einem großen Bambusfächer Luft über das gerötete Gesicht. »Warum regen Sie sich auf, Ratna? Etwas Besseres kann Ihnen und mir nicht passieren. Die Kranken werden den deutschen Arzt so mit ihrem Wunderglauben überrollen, daß er keine Sekunde Zeit haben wird, sich um andere Dinge zu kümmern als um Geschwüre. Lassen Sie allem seinen Lauf. Nichts ist gefährlicher als eine enttäuschte Masse Mensch! Je lauter die jetzt jubeln, um so tiefer werden sie ihn eines Tages verachten.« Er sah auf seine goldene Armbanduhr. »Wann könnte er hier sein?«
    »In einer halben Stunde.« Dr. Karipuri zeigte auf die Menschengasse, die sich gebildet hatte. Vom Haus des Großen Rates gingen die Ältesten die Straße hinunter, schwankend, an Stöcken, sich gegenseitig stützend. Ein gespenstisches Bild. »Sie bereiten ihm einen Triumphzug …«
    »Sie werden ihn erschrecken, weiter nichts.« Taikky griff in die Tasche seines Anzuges aus weißer Thaiseide. »Endlich habe ich Nachricht aus Lashio. Von einem guten Bekannten in der Verwaltung. Dr. Haller hat keine Ahnung von Lepra. Er ist Chirurg. Das große Wunder findet also nicht statt. Sein triumphaler Einzug in Nongkai ist bereits sein Untergang …«
    Auf der Straße wurden Blumen gestreut, die letzten Betten rollten auf die Veranda des Hospitals. Siri und die Pfleger gingen von Bett zu Bett, schoben Holzklötze unter die Köpfe der Kranken, damit sie auf die Straße blicken konnten. Vom Dach der Kirche blies jemand auf einem ausgehöhlten Kürbis; ein dumpfer, aber weithin hallender Ton. Es war der Küster der christlichen Gemeinde, und der Kürbis ersetzte seit Jahren die Glocke. Die Reihen der Kranken formierten sich, ein Spalier schrecklichsten Elends.
    »Er kommt«, sagte Dr. Karipuri. »Wenn der Küster ihn sieht, ist Dr. Haller in fünf Minuten hier. Gehen wir ihm entgegen?«
    »Warum?« Donu Taikky setzte sich ächzend in den breiten Rohrstuhl. »Wo gibt's denn das, daß der Chef einem kleinen Angestellten entgegenläuft wie die Braut ihrem Bräutigam? Es genügt, wenn er nachher meinen Whisky saufen wird …«
    Dr. Haller zuckte zusammen, als Sabu Adripur plötzlich bremste. »Sind Sie verrückt?« schrie er. »Wollen Sie mir die Fresse mit Glas spicken?!«
    »Sie haben geschlafen, Kollege. Eine halbe Flasche Gin auf einen Zug. Sie sind wohl nicht mehr im Training?« Der junge Arzt zeigte nach vorn. Die Straße wurde etwas breiter und endete vor einer Mauer aus Holz. »Nongkai …«
    »Wo?« Dr. Haller schüttelte sich und wischte sich mit beiden Händen über das Gesicht. »Wie lange sind wir gefahren?«
    »Drei Stunden.«
    »Und wie viele habe ich davon geschlafen?«
    »Gute zweieinhalb.«
    »War ich richtig besoffen? Seien Sie nicht zu höflich zu mir, junger Kollege. Bei mir gibt es zwei Arten von Besoffenheit: die stille, da schnarche ich wie zehn Boxerhunde. Und die laute. Da singe ich. Es muß schaurig sein. Na, wie war ich?«
    »Sie haben geschnarcht.« Adripur stellte sich in dem kleinen Geländewagen auf. Von ganz fern wehte ein dumpfer, hohler Ton herüber. Selbst Haller, der mit einem Schluckauf kämpfte, hörte ihn.
    »Die Glocke der christlichen Gemeinde«, sagte Adripur. »Ein ausgehöhlter Kürbis, in den der Küster hineinpustet.«
    Dr. Haller starrte hinüber zu der hohen Palisade. Das große Doppeltor war aufgeschwungen. Wieder der dumpfe Ton, langgezogen und klagend. »Was soll das?« fragte Dr. Haller.
    »Ihretwegen. Nongkai erwartet Sie wie seinen Retter.«
    »Man sollte die Leute so schnell wie möglich aufklären. Dann sind sie später nicht so enttäuscht.«
    »Das überlasse ich Ihnen, Dr. Haller. Zunächst wird die Woge des Glaubens über Ihnen zusammenschlagen.«
    Dr. Haller griff in die rechte Tasche und holte die zweite Ginflasche heraus. Bevor er sie an den Mund setzen konnte, hielt Adripur seinen Arm fest. »Bitte, jetzt nicht!«
    »Vielleicht mache ich einen besseren Eindruck, wenn ich ein paar Schluck intus habe. Wie sehe ich denn jetzt aus? Wie ein zerknittertes Handtuch?«
    »Denken Sie darüber nach, was Sie den Kranken da drüben bedeuten, Dr. Haller.« Dr. Adripur ließ den Motor wieder an. Der dumpfe Ton aus dem ausgehöhlten Kürbis schwoll ihnen entgegen. Der Küster auf dem Dach der Kirche legte seine ganze Lungenkraft hinein. »Sie können sich noch immer in die Ecke rollen. Aber erst müssen Sie alles gesehen haben.«
    »Das war deutlich. Adripur, Sie sind
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