Engel der Finsternis (German Edition)
für deine Offenheit und werde deine Warnung beherzigen.“
Meresin erhob sich nicht sofort in die Luft, sondern legte eine große Strecke zu Fuß zurück. Er wollte herausfinden, ob wirklich alle Dämonen die Wälder verlassen hatten. Nicht einen einzigen von ihnen traf er an. Dafür entdeckte er in der Nähe des alten Kohlenmeilers die Köhlerin und die Nonne. Lautlos schlich er sich an sie heran und belauschte die beiden Weiber. Sie schlichen um die Hütte herum, in der Marlies gelebt hatte, ehe sie gestorben und zum Wilden Heer gekommen war. Dabei wirkten sie nervös, fast schon ängstlich. Vor allem die Köhlerin, die sonst eher kaltblütig und furchtlos auftrat, schien irgendetwas sehr zu beunruhigen. Sie flüsterten und gaben sich die ganze Zeit Handzeichen, deren Bedeutung Meresin fremd war. Er hatte noch nie etwas Derartiges gesehen.
„Er ist nicht hier.“ Die Köhlerin wirkte erleichtert.
„Das habe ich dir doch gesagt!“, antwortete die Nonne unwirsch. „Wieso müssen wir ihn überhaupt suchen? Denkst du wirklich, Agreas hat recht?“
„Hör auf damit! Wenn er dich so reden hört, ist es aus mit dir.“
„Schon gut. Ich bin froh, wenn es endlich vorbei ist. Wann ist es denn soweit?“
„Sie haben sicher schon angefangen.“
„Das hält sie nicht lange durch. Ob sie wohl weiß, wo Meresin sich verkrochen hat?“
„Wenn sie es weiß, wird sie es sagen. Kein Mensch kann solchen Schmerz ertragen.“
„Was wollen sie denn mit ihr machen?“
„Ich weiß es nicht. Aber ich weiß, was Agreas mit ihr vorhat.“
„Was denn?“
Marlies warf der Nonne einen harten Blick zu. „Glaube mir, das willst du nicht wissen!“
Meresin horchte auf. Sie hatten also bereits begonnen, Franzi zu foltern. Und wenn sie noch nicht angefangen hatten, dann würde es sehr bald soweit sein. Er musste sich beeilen.
Rasch ließ Meresin die Weiber hinter sich und erhob sich über die Baumwipfel hinaus. Ihm war es egal, ob ihn jemand sah. Er musste so schnell wie möglich nach Waldenfels. Mit kräftigen Flügelschlägen schoss er wie ein Pfeil durch die Luft und seinem Ziel entgegen. Dabei versuchte er, nicht daran zu denken, was Franzi in diesem Augenblick womöglich ertragen musste. Es hätte ihm die Ruhe geraubt und den Verstand benebelt. Er brauchte einen klaren Kopf und einen eisernen Willen, wenn er sie befreien wollte. Beides benötigte er auch für den Fall, dass der Plan misslingen sollte. Dann durfte er noch weniger zögern.
Agreas würde sicher versuchen, sie beide lebend in seine Gewalt zu bringen, damit er Franzi vor Meresins Augen ganz langsam zu Tode quälen könnte, ehe er ihn an Luzifer übergab. Vielleicht dachte er auch gar nicht daran, ihn dem Fürsten der Hölle zu übergeben. Womöglich wollte er ihn selbst töten.
Meresin zerbrach sich darüber nicht weiter den Kopf. Er musste einen Weg finden, wie er in den Wehrturm eindringen konnte. Wie er wieder herauskam, würde er sehen, wenn es soweit war. Als er die Burg in der Ferne auftauchen sah, hörte er Franzis Schreie und schloss für einen Moment gequält die Augen. Die Folterung hatte bereits begonnen.
27. Kapitel
„Sag uns, wo er sich aufhält. Dann hören wir sofort auf!“ Der Kaplan beugte sich über Franzis schweißnasses Gesicht. Aus weit aufgerissenen, geröteten Augen blickte sie zu ihm hoch und stöhnte vor Schmerzen. Ihre Glieder waren zum Zerreißen gespannt. Handgelenke und Knöchel steckten in schweren Metallmanschetten. Der Henker stand am unteren Ende der Streckbank und hielt das Holzrad in den Händen, mit dem die Ketten bewegt werden konnten, die an den Metallmanschetten hingen.
„Warte!“, befahl Hieronymus dem Henker. „Franzi, mach es uns allen doch nicht so schwer. Ich weiß, dass du kein schlechter Mensch bist. Du willst dich doch nicht gegen Gott versündigen. Also sprich mit mir.“
Aber Franzi presste die Lippen fest aufeinander und schwieg. Sie zitterte am ganzen Körper und hatte alle Muskeln angespannt. Ihre Gelenke, die Schultern und die Knie, die Hüfte und das Rückgrat schmerzten unerträglich. Franzi konnte an nichts anderes mehr denken als an den Schmerz. Aber sie versuchte immer wieder, sich selbst von den Qualen abzulenken und an Meresin zu denken. So oft es ihr gelang, sich sein Gesicht ins Gedächtnis zu rufen, wurde die Tortur für einen winzigen Augenblick erträglich. Die Gewissheit, dass er in Sicherheit war, gaben ihr die nötige Kraft. Wenn sie an die gemeinsamen Stunden in der Höhle
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