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Empfindliche Wahrheit (German Edition)

Empfindliche Wahrheit (German Edition)

Titel: Empfindliche Wahrheit (German Edition)
Autoren: John le Carré
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Richtung Süden, und Toby hatte keine weiteren Gesprächsanläufe unternommen, vermutlich ein weiser Entschluss, denn die Fragen, die ihm einfielen, schienen allesamt wenig smalltalk-geeignet: »Haben Sie aktiv bei Jebs Ermordung mitgeholfen, Shorty?« Oder: »Erzählen Sie doch, Elliot, was haben Sie denn nun eigentlich gemacht mit den Leichen von dieser Frau und ihrer Tochter?« Sie waren die Fitzjohn’s Avenue hinuntergefahren und näherten sich nun dem Villenteil von St. John’s Wood. Stand hier am Ende das »Schloss«, von dem in Fergus Quinns liebedienerischem Telefonat mit Crispin auf der gestohlenen Tonbandaufnahme die Rede gewesen war?
    »… in Ordnung, so gegen vier … Schloss passt mir auch besser, muss ich sagen, da ist man doch mehr für sich.«
    In schneller Folge erspähte er eine Kaserne, vor der britische Posten mit Automatikgewehren Wache hielten, dann einen gesichtslosen Backsteinbau, der von US -Marines bewacht wurde. Auf einem Schild stand SACKGASSE . Grünbedachte Prachthäuser ab fünf Millionen aufwärts. Hohe Ziegelmauern. Magnolien in voller Blüte. Das Pflaster mit Kirschblüten beschneit wie mit Konfetti. Zwei grüne Torflügel, die schon aufschwangen. Und im Seitenspiegel der schwarze Mercedes, so nah, dass Toby nur die Hand hätte auszustrecken brauchen.
    ***
    Weiß, wohin das Auge schaut. Sie haben ein mit weiß getünchten Steinen eingefasstes Kiesrondell umrundet und halten vor einem flachen weißen Wohnhaus inmitten von Zierrasenflächen. Der klassizistische weiße Vorbau erscheint eine Nummer zu groß geraten. Aus den Zweigen der Bäume nehmen Videokameras sie aufs Korn. Das Haupthaus wird flankiert von Orangerien aus dunkelgetöntem Glas. Ein Mann mit Blouson und Krawatte hält die Autotür offen. Shorty und Elliot steigen aus, aber Toby hat sich störrisch gegen jede Art von vorauseilendem Gehorsam entschieden. Jetzt steigt er aus wie aus eigenem Antrieb und streckt sich mit lässiger Gebärde.
    »Willkommen in Castle Keep, Sir«, sagt der Mann in Blouson und Krawatte, was Toby auch schon nicht mehr wundert, zumal er auf einem Messingschild neben der Eingangstür ein Schloss abgebildet sieht, oder eher einen Turm mit Zinnen und zwei gekreuzten Schwertern darüber.
    Er steigt die Stufen hinauf. Zwei Männer tasten ihn entschuldigend ab, kassieren seine Kugelschreiber, den Spiralblock und die Armbanduhr ein, winken ihn dann durch eine elektronische Sicherheitsschleuse und sagen: »Sie kriegen’s wieder, sobald Sie den Chef gesprochen haben, Sir.« Toby beschließt, in einen veränderten Seinszustand einzutreten. Er ist kein Gefangener, er schlendert als freier Mann einen schimmernden Korridor entlang, der mit spanischen Fliesen gekachelt ist und an dessen Wänden Georgia-O’Keeffe-Blumendrucke hängen. Nach beiden Seiten führen Türen weg. Manche stehen offen. Fröhliche Stimmen dringen zu ihm heraus. Gut, neben ihm geht Elliot, aber er hat die Hände fromm auf dem Rücken verschränkt, als wäre er auf dem Weg zur Kirche. Shorty ist verschwunden. Eine hübsche Sekretärin mit langem schwarzem Rock und weißer Bluse eilt über den Gang. Sie grüßt Elliot mit einem beiläufigen »Hi«, aber ihr Lächeln gilt Toby, und Toby, freier Mann, der er ist, lächelt zurück. In einem weißen Büro mit einer abgeschrägten Decke aus weißem Glas sitzt eine würdige grauhaarige Dame in den Fünfzigern hinter einem Schreibtisch.
    »Ah, Mr. Bell. Schön, dass Sie zu uns gefunden haben. Mr. Crispin erwartet Sie schon. Danke, Elliot. Ich denke, der Chef freut sich, wenn er Mr. Bell ein bisschen für sich haben kann.«
    Und Toby, so beschließt er, freut sich auf ein Tête-à-Tête mit dem Chef. Doch ach, das Gefühl, als er Crispins Allerheiligstes betritt, ist eher eines der Enttäuschung, ähnlich antiklimaktisch wie an dem Abend vor drei Jahren, als der große Unbekannte, das Phantom von Brüssel und Prag, mit Miss Maisie am Arm Einzug in Quinns Privatbüro hielt und sich als die gleiche geleckte TV -Variante des Offiziers und Businessman entpuppte, der nun mit einem sorgsam abgestimmten Mix aus freudiger Überraschung, lausbübischem Verdruss und Kumpelhaftigkeit aus seinem Sessel aufspringt.
    »Toby! So sieht man sich also wieder. Schon ein bisschen drollig, muss ich sagen: ein Provinzschreiberling, der einen Nachruf für den armen Jeb zusammenstoppelt. Gut, Sie konnten Shorty ja wohl schlecht sagen, dass Sie vom F. O. sind. Da hätte er sich ins Hemd gemacht vor Schreck.«
    »Ich
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