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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque
Autoren: Schatten im Paradies
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Fin­ger
hat­te, und ei­ne wei­nen­de al­te Frau, die ich nicht kann­te, wa­ren da­bei. Die al­te
Frau, ein Kell­ner, der frü­her in Mün­chen ein Kor­sett­ge­schäft, und ein Mas­seur,
der in Ro­then­burg ob der Tau­ber ei­ne Koh­len­hand­lung ge­habt hat­te, wa­ren von
Kahn in Frank­reich der Ge­sta­po weg­ge­schnappt wor­den. Sie konn­ten nicht
be­grei­fen, daß er tot war. Au­ßer­dem war noch ei­ne An­zahl Leu­te da, die ich
flüch­tig kann­te.
    Plötz­lich sah ich Ro­sen­baum. Er kam hin­ter
dem arm­se­li­gen klei­nen Sarg her­vor­ge­schli­chen wie ein schwar­zer Frosch. Da er
ein Be­gräb­nis­ti­ger war, trug er einen An­zug mit ei­nem Jackett aus Ma­ren­go­stoff
und ei­ner ge­streif­ten Ho­se. Er war der ein­zi­ge, der to­des­ge­mäß an­ge­zo­gen war;
er war im so ge­nann­ten ›klei­nen Be­suchs­an­zug‹ ver­gan­ge­ner Zei­ten. Breit stell­te
er sich vor den Sarg, schiel­te zu mir her­über und öff­ne­te den Mund.
    Ra­vic stieß mich an. Er hat­te ge­merkt, daß
ich ge­zuckt hat­te. Ich nick­te. Ro­sen­baum hat­te ge­siegt; er hat­te ge­wußt, daß
ich kei­ne Prü­ge­lei vor Kahns Sarg ris­kie­ren wür­de. Ich woll­te hin­aus­ge­hen, aber
Ra­vic stieß mich wie­der an. »Glau­ben Sie nicht, daß Kahn ge­lacht hät­te?«
flüs­ter­te er. – »Nein. Er hat so­gar dar­über ge­spro­chen, daß er lie­ber
er­trin­ken wol­le, als Ro­sen­baum re­den zu las­sen.«
    »Ge­ra­de des­halb«, sag­te Ra­vic. »Kahn wuß­te,
wenn et­was un­ab­wend­bar war – er dreh­te es dann um. Dies ist un­ab­wend­bar.«
    ***
    Ich brauch­te kei­nen
Ent­schluß zu fas­sen. Es war, als wä­re ei­nes zum an­dern ge­kom­men, so wie man
Blät­ter auf­ein­an­der legt, und plötz­lich sind sie ein Buch ge­wor­den. Die Mo­na­te
des Zau­derns, der Hoff­nung, der Re­si­gna­ti­on, der Re­bel­li­on und der schwe­ren
Träu­me hat­ten sich auf­ein­an­der ge­legt, und oh­ne daß ich selbst et­was da­zu­zu­tun
brauch­te, wa­ren sie zu ei­ner Ge­wiß­heit ge­wor­den. Ich wuß­te, daß ich zu­rück­ge­hen
wür­de. Es war nichts Me­lo­dra­ma­ti­sches mehr da­bei; es war fast wie das Fa­zit
ei­nes Buch­hal­ters. Ich konn­te nicht an­ders. Ich ging nicht ein­mal zu­rück, um
mich zu rä­chen. Selbst das war vor­bei. Es war viel ein­fa­cher. Ich ging zu­rück,
um mei­nen Fall zu ord­nen. So­lan­ge ich das nicht ge­tan hat­te, wür­de ich
nir­gend­wo Ru­he fin­den. Der Selbst­mord, der Ekel vor mei­ner Feig­heit und die
scheuß­lichs­te Reue wür­den sonst mei­ne nächs­ten Be­glei­ter sein, wäh­rend ich mein
Da­sein weiter­schlepp­te. Ich muß­te ge­hen. Ich wuß­te noch nicht, was ich tun
wür­de, aber ich war ziem­lich si­cher, daß es mit Ge­rich­ten, Pro­zes­sen und
le­ga­len Süh­nen nicht viel zu tun ha­ben wür­de. Ich kann­te die Ge­rich­te und ich
kann­te die Rich­ter in dem Lan­de, in das ich zu­rück­keh­ren woll­te. Sie wa­ren
füg­sa­me Hel­fer der Re­gie­rung ge­we­sen, und ich konn­te mir nicht vor­stel­len, daß
sie plötz­lich ein Ge­wis­sen bei sich ent­de­cken wür­den, das et­was an­de­res war als
ei­ne op­por­tu­nis­ti­sche Ge­le­gen­heit, sich auf die Sei­te zu schla­gen, die jetzt an
der Macht war. Ich konn­te mich nur auf mich selbst ver­las­sen.
    Als der Waf­fen­still­stand be­kannt ge­ge­ben
wur­de, ging ich zu Vries­län­der. Er be­grüß­te mich strah­lend. »End­lich ist die
Schwei­ne­rei vor­bei! Jetzt kann man an­fan­gen, wie­der auf­zu­bau­en!« –
»Auf­zu­bau­en?«
    »Na­tür­lich. Wir Ame­ri­ka­ner. Wir wer­den
Mil­li­ar­den in­ves­tie­ren.«
    »Es scheint ei­nem son­der­bar, daß man et­was
zer­stört, um es dann wie­der auf­zu­bau­en. Oder den­ke ich falsch?«
    »Nicht falsch, nur un­rea­lis­tisch. Wir ha­ben
das Sys­tem zer­stört, und jetzt bau­en wir das Land wie­der auf. Das sind enor­me
Mög­lich­kei­ten. Den­ken Sie al­lein ein­mal an das Bau­ge­schäft.«
    Es war er­fri­schend, ei­nem Mann der
Tat­sa­chen zu be­geg­nen.
    »Glau­ben Sie, daß das Sys­tem zer­stört ist?«
frag­te ich.
    »Selbst­ver­ständ­lich! Nach so ei­ner
Nie­der­la­ge.«
    »Die Kriegs­la­ge 1918 war auch ka­ta­stro­phal.
Trotz­dem wur­de Hin­den­burg,
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