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Ellernklipp

Ellernklipp

Titel: Ellernklipp
Autoren: Theodor Fontane
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zusammenhielt. Und um dieses Kammes willen war es, daß er bei den Dorfleuten etwas spöttisch der Kamm-Melcher hieß. Aber Hilde hing an ihm, und allabendlich, wenn er heimkehrte, brachte er ihr einen Strauß mit, den er aus Heidekraut und ein paar verspäteten Erdbeeren zusammengebunden hatte. Dann nahm sie seine Hand und tat Fragen über Fragen, und erst wenn sie mitten im Dorf und die meisten Kühe längst im Stalle waren, entsann sie sich und schlenderte die Kreuz und Quer und von einem Ufer aufs andre bis an ihr Haus und die von wildem Wein überwachsene Vorlaube zurück. Da traf sie sich mit Martin, der ihr in allem zu Willen war, ohne daß sie selber einen rechten Willen gehabt hätte. Aber er erriet ihre Gedanken und handelte danach.
    Und so wußt er denn auch bald, daß sie nichts Lieberes tat als Boot und Flotte spielen, und in seinen freien Stunden saß er seitdem in der Geschirr- und Hobelkammer, schnitt Schiffchen aus Holz- und Rindestücken und gab ihnen einen Mast mit einem weißen Segel daran. Und dann setzten sie die Schiffchen ein und sahen ihnen nach. Die meisten kenterten gleich und wurden ans Ufer geworfen, aber zwei hielten sich bis weit hinaus, und sie konnten sie nicht bloß verfolgen, sondern auch deutlich erkennen, wie sie gerad auf den Sonnenball zufuhren, der zwischen dem niederhängenden Gezweige stand und die schäumenden Wellen vergoldete. »Sieh«, sagte Martin, »das sind wir; ich hab unsere Namen drangesteckt, und die scheitern nicht. Und wenn du's nicht glaubst, so komm nur, wir wollen sehen, ob ich nicht recht habe.« Und sie liefen abwärts, um die gekenterten Schiffchen wieder aufzusuchen und danach festzustellen, welche zwei noch flott waren; aber schon das zweite, das zwischen den Steinen lag, war der »Martin«. Er nahm es und erschrak. »Ach, Hilde, dann ist es ein anderes Schiff, das mit dir fährt.« Und eine Träne stand in seinem Auge.
    Hilde gab keine Antwort und sah immer nur den beiden Segeln nach, die noch im Abendlichte glänzten, bis endlich das Licht und die Segel verschwunden waren.
    Unter solchem Spielen verging der Herbst, und es war fast, als ob der Wetterumschlag nicht kommen wollte. Aber zuletzt kam er doch. Eines Abends hatten sich Grissel und Hilde niedergelegt und kurz vorm Einschlafen beschlossen, am nächsten Tage die Winteräpfel von den Bäumen zu schütteln, da kam ihnen der Sturm zuvor, und noch ehe Mitternacht heran war, wachte Grissel auf und sah zu Hilde hinüber, ob sie noch schliefe. Aber sie saß schon auf, mit gefalteten Händen, und sah in den Vollmond, der hell hereinschien und die ganze Stube mit seinem weißen unheimlichen Lichte füllte. Dabei lief der Sturm, der sein Heulen aufgegeben hatte, pfeifenden Tones und immer rascher um das Haus her und zwängte sich durch alle Ritzen. Und mit einem Male ward es still. »Ist es vorüber?« fragte Hilde von ihrem Bett her. Aber ehe Grissel noch antworten konnte, gab es ein Donnern in den Lüften, und alles dröhnte und schütterte, und Grissel, die sonst Mut hatte, rief mit ängstlicher Stimme: »Duck di, Hilde. Dat is he.« Und Hilde duckte sich und wollte sich unter die Kissen verstecken, aber sie konnte es nicht und sprang auf und setzte sich auf Grissels Bett und sagte: »Was machen wir?« – »Wir beten.« – »Ich kann nicht.« – »Dann sprich es nach.« Und Grissel betete:
     
    »Steh uns bei, Herr Jesus Christ,
    Wider Teufels Macht und List;
    Dein ist die Kraft und Herrlichkeit
    In Ewigkeit. Amen.«
     
    Und »Amen« zitterte Hildens Stimme nach.
    Als sich am andern Morgen der Sturm gelegt hatte, kam die Regenzeit. Die dauerte zwei volle Wochen, und es klatschte Tag und Nacht an die Fenster, und die letzten Blätter fielen von den Bäumen und trieben in hundert kleinen Rinnen dem von dem losgewaschenen Erdreich immer trüber werdenden Bache zu. Hilde stand an dem Giebelfenster oben und fror. Und zuletzt warf sie sich aufs Bett, wickelte sich ein und legte die Füße auf den Binsenstuhl. Aber wenn sie dann Grissel auf der Treppe hörte, sprang sie rasch wieder auf, machte Bett und Decke wieder glatt, trat ans Fenster und sah in den Hof hinunter, wo die Hühner unterm Schuppendach saßen und Tiras seinen Kopf immer nur so weit vorstreckte, wie der Dachvorsprung seiner Hütte reichte. Und dann fragte Grissel: »Was machst du, Hilde?«
    »Ich friere.«
    »Dann komm an den Herd.«
    Und darauf wartete Hilde bloß und ging treppab und kauerte sich unter den Herdbogen, wo das kleingemachte
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