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Eismord

Eismord

Titel: Eismord
Autoren: Giles Blunt
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rannte los. Sie sah dort, wo die Kugeln in den Boden trafen, den Schnee aufspritzen, bevor sie den ersten Knall registrierte.
    Während sie den Schutz der dunklen Bäume suchte, war ihr bewusst, dass ihre frischen Fußspuren auf dem unberührten Weiß danach schrien, sie zu erschießen. Sie ließ sich hinter einem Granitfelsen fallen und blickte zurück. Jemand hatte im Schlafzimmer Licht gemacht, doch im Fenster war kein Schatten zu sehen. Denk nach, befahl sie sich. Links der platingraue See, dessen hauchdünne Eisschicht allenfalls eine Katze trug. Es gibt nur zwei Routen zum Wagen zurück – je eine links und rechts von der Einfahrt, und dann die Straße. Er hat mich hier entlanglaufen sehen. Er wird jeden Moment aus dieser Haustür stürmen und in meine Richtung kommen, und selbst wenn er mich im Dunkeln nicht erkennen kann, wird er mich hören, und dann bin ich tot, und ich will ganz bestimmt nicht sterben.
    Das offene Gelände zwischen ihr und dem Haus erschien ihr wie der bedrohlichste Ort auf Erden. Sie verließ den Schutz der Felsen und kehrte quer über diese Lichtung zum Haus zurück, hielt sich dann möglichst dicht an dessen Gartenfront, um auf dieser Seite im Wald zu verschwinden. Sie konnte nur den einen Gedanken fassen, aus Leibeskräften zu laufen. Ich bin schnell, sprach sie sich Mut zu, aber ich bin nicht Loreena Moon und ganz bestimmt nicht schneller als Kugeln. Noch wichtiger als das Tempo war es, sich lautlos zu bewegen.
    Sie versuchte, sich all die Regeln ins Gedächtnis zu rufen, die sie beim Jagdunterricht von ihrem Vater gelernt hatte. Sich unentdeckt an seine Beute anschleichen. Vorzugsweise auf felsigem Boden oder in dessen Nähe laufen. Sein Gewicht reduzieren, indem man dicht am Stamm den Halt von Ästen sucht. Ach ja – nicht auf kleine Zweige treten. Tolles Indianer-Einmaleins, Dad! Darauf wäre ich nie gekommen. Ein guter Jäger zu sein war nicht ganz dasselbe, wie als Beute am Leben zu bleiben.
    Als sie die Vorderseite des Bungalows ein gutes Stück hinter sich gelassen hatte, duckte sie sich in eine Gruppe von Kiefern und horchte. Sie sah die Einfahrt, hörte, wie der Mann auf der anderen Seite geräuschvoll durch den Wald lief. Fragte sich, wie blöd der Kerl war. Wie lange würde er brauchen, bis er merkte, dass es da drüben in der dünnen Schicht Neuschnee, die in dieser Nacht gefallen war, keine Spuren gab. Dann würde er entweder warten oder umkehren und hinter dem Haus ihre Fährte entdecken.
    Jetzt kam er aus dem Wald und drehte sich langsam im Kreis, um sich den Schnee genauer anzusehen. Sam griff in ihrer Tasche nach dem Handy. Nicht da. Sie klopfte die anderen Taschen ab. Der Mann lief mit schussbereitem Gewehr zum Haus zurück. Sam sprintete wieder los. Wenige Sekunden später konnte sie zwischen den Bäumen hindurch die Straße erkennen. Ihr Wagen wartete ein Stück weiter Richtung Stadt. Um nicht die ungeschützte Einfahrt überqueren zu müssen, blieb ihr keine andere Wahl, als einen großen Bogen zu schlagen und auf der anderen Straßenseite durch den Wald, der sich dort eine steile Böschung hochzog, zu pirschen und die offene Straße zu meiden.
    Der Mann kam durchs Gestrüpp hinter ihr hergestürmt. Sam bog Richtung Straße ab und rannte um ihr Leben. Falls er sie sah, hätte er Mühe, anzulegen und zu zielen, und bis er die Straße erreichte, säße sie schon im Wagen. Etwas sirrte an ihrem Gesicht vorbei, und der Knall, der augenblicklich folgte, beantwortete alle ihre Fragen. Sie erreichte die Zufahrt zum Kraftwerk und ihr fünfzehn Meter weiter geparktes Auto.
    Falls er es bis zur Straße geschafft hat, sagt ihm das Geräusch, wenn ich mit dem Ding da losfahre, wo ich bin.
    Sie ließ die Scheinwerfer ausgeschaltet. Der Honda zündete gleich beim ersten Versuch. Auf der Zufahrt ging sie es langsam an; auf der leichten Steigung hätten die abgefahrenen Reifen nicht gegriffen. Noch während sie die Island Road hinaufkroch, sah sie ihn kommen. Sie gab Gas. Auch wenn hinten die Räder durchdrehten, gelangte sie auf die Straße. Es war eine Qual, den Fuß vom Gas zu nehmen, andererseits die einzige Chance, dass die Reifen griffen. Eine Kugel traf ins Heck, und der Mann schrie, während sie ihn im Rückspiegel hinter ihr herrennen sah.
    Die Reifen griffen, und sie gab langsam mehr Gas, während sie versuchte, sich auf ihrem Sitz möglichst klein zu machen. Eine zweite Kugel schlug in den Kofferraum ein. Sie fuhr um eine Kurve und bekam schon etwas besser Luft. Er
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