Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Einfach göttlich

Einfach göttlich

Titel: Einfach göttlich
Autoren: Terry Pratchett
Vom Netzwerk:
hast mich bespitzelt und die Kirche hintergangen.«
    »… keine Namen…«
    »Die Wahrheit bringt das Ende der Schmerzen, Sascho. Gib mir Auskunft.«
    »…Wahrheit…«
    Vorbis seufzte. Eine Sekunde später sah er, wie sich Saschos Zeigefinger unter den Handfesseln krümmte und streckte, krümmte und streckte. Ein Wink.
    Er beugte sich vor.
    »Ja?«
    Sascho öffnete das eine übriggebliebene Auge.
    »…Wahrheit…«
    »Ja?«
    »… die Schildkröte bewegt sich…«
    Vorbis lehnte sich mit unverändertem Gesicht zurück. Seine Mimik blieb die meiste Zeit über starr – es sei denn, er wollte etwas ohne Worte zum Ausdruck bringen. Der Inquisitor beobachtete ihn entsetzt.
    »Ich verstehe«, sagte Vorbis schließlich, stand auf und nickte dem Inquisitor zu.
    »Wie lange ist er schon hier?«
    »Seit zwei Tagen, Herr.«
    »Und wie lange kannst du ihn noch am Leben erhalten?«
    »Vielleicht noch für zwei weitere Tage, Herr.«
    »Gib dir Mühe«, erwiderte Vorbis. »Immerhin besteht eine unserer Aufgaben darin, das Leben so lange wie möglich zu bewahren, nicht wahr?«
    Der Inquisitor lächelte nervös, wie ein Mann, der genau wußte, daß ihn ein einziges falsches Wort in Schwierigkeiten bringen konnte.
    »Äh… ja, Herr.«
    »Ketzerei und Lügen verbergen sich überall.« Vorbis seufzte. »Jetzt muß ich mir einen neuen Sekretär besorgen. Es ist wirklich ärgerlich.«
     
    N ach zwanzig Minuten entspannte sich Brutha. Die sirenenhaften Stimmen sinnlichen Unheils schienen endgültig verstummt zu sein.
    Der Novize setzte die Arbeit bei den Melonen fort. Er glaubte, Melonen zu verstehen. Seiner Meinung nach waren sie nicht annähernd so rätselhaft wie viele andere Dinge.
    »He, du!«
    Brutha richtete sich auf.
    »Ich höre dich nicht, gräßlicher Sukkubus«, sagte er.
    »Und ob du mich hörst. Ich möchte, daß du…«
    »Ich habe mir Finger in die Ohren gesteckt!«
    »Steht dir gut. Ja, steht dir gut. Dadurch siehst du aus wie eine Vase. Und nun…«
    »Ich summe eine Melodie! Ich summe eine Melodie!«
    Bruder Preptil, Meister der Musik, hatte Bruthas Stimme wie folgt beschrieben: Angeblich erinnerte sie ihn an einen enttäuschten Geier, der zu spät am Kadaver eines Esels eintraf. Das Singen im Chor war obligatorisch für alle Novizen, aber auf Bruder Preptils flehentliche Bitten hin hatte man Brutha von dieser Pflicht befreit. Er bot einen mitleiderweckenden Anblick, wenn er verzweifelt versuchte, den Erwartungen der Priester gerecht zu werden, doch seine Stimme… Bei ihrem Klang hätten alle in der Nähe befindlichen Trommelfelle am liebsten die Flucht ergriffen. Zweifellos war sie kräftig und volltönend, aber sie kletterte ständig die Tonleiter auf und ab, ohne jemals die richtige Sprosse zu finden.
    Deshalb bekam Brutha die Möglichkeit, mehr Zeit im Garten zu verbringen als die anderen Novizen.
    Jetzt holte er tief Luft.
    Die ersten Töne verscheuchten zahlreiche Krähen von den nahen Gebetstürmen.
    Nach einigen Strophen von Er zerstampft die Sündigen unter Hufen aus heißem Eisen wagte es Brutha, die Finger aus den Ohren zu ziehen und kurz zu lauschen.
    Abgesehen vom fernen Protest der Krähen herrschte Stille.
    Es funktionierte. Vertrau auf Gott, hieß es. Brutha hatte Gott vertraut. Von Anfang an. Soweit er sich zurückerinnern konnte.
    Er griff nach der Hacke und wandte sich erleichtert den Melonenreben zu.
    Nur noch wenige Zentimeter trennte die Hackenspitze vom Boden, als Brutha die Schildkröte bemerkte.
    Sie war klein, größtenteils gelb und mit Staub bedeckt. Der Panzer wies viele Kratzer und Kerben auf. Ein kleines, rundes Auge glänzte – das andere war einer von tausend Gefahren zum Opfer gefallen, mit denen jedes langsame, dicht über dem Boden lebende Geschöpf rechnen mußte.
    Der Novize sah sich um. Der große Garten befand sich innerhalb der Tempelanlage, und hohe Mauern säumten ihn.
    »Wie bist du denn hierhergekommen, kleines Tier?« fragte er. »Bist du vielleicht geflogen?«
    Die Schildkröte starrte ihn mit ihrem einen Auge an. Brutha fühlte so etwas wie Heimweh. Zu Hause im Dünenland krochen überall Schildkröten umher.
    »Ich könnte dir etwas Salat besorgen«, schlug Brutha vor. »Ich fürchte jedoch, in diesem Garten sind keine Schildkröten erlaubt. Vermutlich hält man euch hier für Ungeziefer oder so.«
    Die Schildkröte starrte auch weiterhin. Schildkröten sind ausgezeichnete Starrer.
    Brutha fühlte sich verpflichtet, noch etwas zu sagen.
    »Trauben«, meinte er.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher