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Eine Handvoll Worte

Titel: Eine Handvoll Worte
Autoren: Jojo Moyes
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auszurichten. Das hat meine Mutter gesagt, und offen gestanden, es gilt noch immer. Ich werde mir das eine oder andere neue Kleid kaufen, aber Canapés und Sitzanordnungen? Igitt.«
    Jennifer zupfte den Ausschnitt, bis er saß, und starrte sich selbst im Spiegel an, drehte sich nach links und nach rechte. Sie streckte einen Arm aus. Die Narbe war erhöht und immer noch störend rosa. »Meinst du, ich sollte lange Ärmel tragen?«
    Yvonne richtete sich auf und betrachtete sie. »Tut es weh?«
    »Der ganze Arm bereitet mir Schmerzen, und der Arzt hat mir Tabletten gegeben. Ich habe mich nur gefragt, ob die Narbe nicht ein bisschen …«
    »Stört?« Yvonne rümpfte die Nase. »Wahrscheinlich bist du mit langen Ärmeln besser bedient, Schätzchen. Nur bis sie ein wenig verblasst. Und es ist so kalt.«
    Jennifer war verblüfft über das schonungslose Urteil ihrer Freundin, aber nicht gekränkt. Seit ihrer Heimkehr war es das erste ehrliche Wort, das jemand zu ihr gesagt hatte.
    Sie zog das Kleid aus, ging an ihren Schrank und suchte so lange, bis sie ein Futteralkleid aus Rohseide fand. Sie nahm es von der Stange und musterte es. Es war so auffällig. Seitdem sie wieder zu Hause war, hatte sie sich in Tweedsachen verbergen wollen, in zarten Grau- und Brauntönen, dennoch sprangen diese mit Schmuck besetzten Kleider sie förmlich an. »Ist es das?«, fragte sie.
    »Was?«
    Jennifer holte tief Luft. »Was ich immer getragen habe? Habe ich so ausgesehen?« Sie hielt sich das Kleid vor.
    Yvonne zündete sich eine Zigarette an, wobei sie Jennifers Gesicht betrachtete. »Soll das heißen, dass du dich wirklich an nichts erinnerst?«
    Jennifer setzte sich auf den Hocker vor ihrer Frisierkommode. »So ungefähr«, gab sie zu. »Ich weiß, dass ich dich kenne. So wie ich ihn kenne. Ich kann es hier fühlen.« Sie tippte sich auf die Brust. »Aber es ist … es gibt riesige Lücken. Ich weiß nicht mehr, wie es mir mit meinem Leben ging. Ich weiß nicht, wie ich mich allen gegenüber verhalten soll. Ich weiß nicht …« Sie biss sich auf die Lippe. »… wer ich bin.« Unverhofft stiegen ihr Tränen in die Augen. Sie zog eine Schublade auf, dann eine andere und suchte nach einem Taschentuch.
    Yvonne wartete einen Augenblick. Dann stand sie auf, ging hinüber und ließ sich auf dem niedrigen Hocker neben ihr nieder. »Schon gut, Schätzchen, ich kläre dich auf. Du bist reizend und lustig und voller joie de vivre. Du hast das perfekte Leben, einen reichen, gut aussehenden Mann, der dich anhimmelt, und einen Kleiderschrank, für den jede andere Frau sterben würde. Deine Frisur sitzt immer perfekt. Du hast eine Wespentaille. Bei jedem gesellschaftlichen Anlass stehst du immer im Mittelpunkt, und unsere Ehemänner sind alle in dich verknallt.«
    »Ach, sei nicht albern.«
    »Das bin ich nicht. Francis betet dich an. Immer wenn er dein verschmitztes Lächeln sieht, deine blonden Haare, dann sehe ich ihm an, dass er sich fragt, warum um alles in der Welt er diese schlaksige, verschrobene alte Jüdin geheiratet hat. Was Bill betrifft …«
    »Bill?«
    »Violets Mann. Bevor du geheiratet hast, ist er dir förmlich wie ein Schoßhund gefolgt. Nur gut, dass er sich so vor deinem Mann fürchtet, sonst wäre er vor Jahren mit dir auf und davon.«
    Jennifer wischte sich die Augen mit einem Taschentuch ab. »Du bist sehr nett.«
    »Ganz und gar nicht. Wenn du nicht so nett wärst, müsste ich dich umlegen lassen. Aber du hast Glück. Ich mag dich.«
    Sie saßen noch eine Weile zusammen. Jennifer rieb mit dem Zeh über einen Fleck auf dem Teppich. »Warum habe ich keine Kinder?«
    Yvonne nahm einen langen Zug aus ihrer Zigarette. Sie warf einen Blick auf Jennifer und zog die Augenbrauen hoch. »Beim letzten Mal, als wir darüber sprachen, hast du die Bemerkung fallen lassen, um Kinder zu bekommen, sei es normalerweise ratsam, dass sich Mann und Frau eine Zeit lang auf demselben Kontinent befinden. Er ist furchtbar oft unterwegs, dein Mann.« Sie grinste und blies einen perfekten Rauchring aus. »Auch darum habe ich dich immer entsetzlich beneidet.«
    Als Jennifer zögernd kicherte, fuhr sie fort: »Oh, es wird dir gut gehen, Schätzchen. Du solltest tun, was dieser lächerlich teure Arzt gesagt hat, und dir keine Sorgen mehr machen. In ein, zwei Wochen wirst du wahrscheinlich einen Heureka-Moment haben und dich an alles erinnern – widerlich schnarchender Ehemann, die neuesten Konjunkturdaten, die schwindelerregende Höhe deiner Rechnung bei
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