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Eine Hand voll Asche

Titel: Eine Hand voll Asche
Autoren: Jefferson Bass
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denen noch Muskeln und Haut waren – mit Bruchlinien bei trockenen Knochen verglichen. Wir haben zwei Autos in Brand gesetzt, in denen Leichen und Gliedmaßen von Frischverstorbenen lagen und von Menschen, die schon eine beziehungsweise zwei Wochen tot waren. Im Sommer hat es keinen Sinn, weiter zu gehen als zwei Wochen – bis dahin hat man eh schon nackte, trockene Knochen.«
    Er dachte kurz darüber nach. »Und haben Sie Ihre Untersuchungsergebnisse dokumentiert? Haben Sie etwas, was Sie mir per Boten schicken könnten?«
    »Nichts Schriftliches«, sagte ich. »Ich habe einige verkohlte Knochen, die ich Ihnen schicken könnte.«
    »Vielen Dank, aber ohne einen methodologischen Kontext weiß ich nicht recht …«
    »Zum Teufel, ich bin der Bote, und den Kontext bekommen Sie von mir«, sagte ich. »Ich muss sowieso in Ihre Richtung. Ich bringe ein paar Knochen mit und zeige Ihnen, was ich schriftlich festhalten werde, sobald ich dazu komme. Sie können Fragen stellen, und ich kann versuchen, sie zu beantworten. Wenn irgendetwas davon relevant ist, großartig. Wenn nicht, hat keiner von uns mehr verloren als ein paar Minuten. Wollen Sie einen Blick darauf werfen?«
    »Meinethalben«, sagte er.
    Meinethalben? , dachte ich. Wer sagt denn noch » meinethalben «? Und warum hat der Kerl bloß so einen dicken Besenstiel im Arsch? »Prima«, sagte ich und dachte: Wer zum Teufel sagt denn noch » prima «, Brockton? Dann dachte ich: Na, ich anscheinend . »Ich bin in zehn Minuten bei Ihnen. Freue mich drauf, Sie kennen zu lernen.«
    »Dann bis gleich«, war alles, was er sagte, bevor er auflegte.
    Ich wählte ein halbes Dutzend Knochen von dem heißen nächtlichen Experiment aus, wickelte sie in Luftpolsterfolie und tat sie in eine der langen Schachteln, die wir zur Archivierung in der Skelettsammlung benutzten. Als ich den Flur hinuntereilte, der der Kurve der Endzone des Stadions folgte, kam ich an der offenen Bürotür von Jorge Jimenez vorbei, einem Doktoranden der Kulturanthropologie aus Buenos Aires. Jorges Name klingt alles andere als aristokratisch, dachte ich plötzlich, denn wenn man ihn spanisch ausspricht, klingt die erste Silbe wie ein kräftiges Rotzen. Ich klopfte mit einem Fingerknöchel an Jorges Tür. »Herein«, sagte er, ohne von seinem Computer aufzublicken. Auf dem Bildschirm war ein junges Paar, anscheinend beim Tangotanzen, doch plötzlich wirbelten sie auseinander und begannen einen Breakdance.
    »Ein interessanter Tanz«, sagte ich. »Ich glaube, den kenne ich noch nicht.«
    »Ah, Dr. Brockton«, sagte er und schaute auf. »Tut mir leid, dass ich so unhöflich bin. Das hier ist tatsächlich Forschung. In Buenos Aires, wo dieses Tanzvideo gedreht wurde, hat einer von zwanzig Teenagern ein Video bei YouTube eingestellt, wussten Sie das?«
    »Nein«, sagte ich. »Was ist ›You Two‹?« Es klang nicht so, als redete er von Aufklärungsflugzeugen oder einer Rockband.
    »Nicht U-2. YouTube.« Er kritzelte es für mich auf ein Blatt Papier. »Eine Internetseite, wo die Leute ihre selbstgedrehten Videos einstellen. Sehr beliebt bei jungen Leuten. Wie MySpace.«
    »Ihr Space? Ich dachte, das heißt Site. Sie haben also eine Webseite, die bei Jugendlichen beliebt ist?«
    Er lachte, dann tippte er eine Adresse in den Browser seines Computers und rief eine Seite auf, die mit blinkenden Anzeigen und Bildchen von Gesichtern und Haustieren gefüllt war. »Nicht mein Space«, sagte er. »MySpace.com.«
    Nach wenigen Sekunden klickte er wieder auf den Tango/Breakdance. »Zuerst waren die Videos bei YouTube sehr unbeholfen und albern«, sagte er, »aber inzwischen sehen viele aus, als kämen sie direkt aus Hollywood.« Er studierte wieder meine Miene. »Aber ich vermute, Sie sind nicht hier, um über Kino oder Internet zu reden.«
    »Nein, ich bin gekommen, weil ich einen Rat brauche«, sagte ich. »Haben Sie einen Tipp für mich, wie man mit einem promovierten Latino umgeht, der sich ständig angegriffen fühlt?«
    »Sie meinen Eddie Garcia?«
    Eddie? Ich lächelte. Das war doch schon wesentlich besser als Ethelbert oder Ethel. »Woher wissen Sie das?«
    »Glückstreffer.« Er lächelte zurück. »Was Sie nie vergessen dürfen, Dr. B., er ist nicht nur Lateinamerikaner, er ist Mexikaner, also könnte es sein, dass Sie ihm nicht gleich ins Hemd treten dürfen.«
    »Und was bedeutet das?«, fragte ich. »Wenn Sie nicht selbst Lateinamerikaner wären, fände ich das ganz schön herablassend.«
    »Wenn ich ein
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