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Eine Frau für Caracas

Eine Frau für Caracas

Titel: Eine Frau für Caracas
Autoren: Horst Biernath
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Aufforderung, einzutreten. Wahrscheinlich war Severin der Meinung, es sei das Mädchen, das noch irgend etwas im Zimmer für die Nacht richten wolle, denn er hob nicht den Kopf, als Werner eintrat, sondern schrieb an einem Brief weiter. Erst Werners Gruß ließ ihn emporfahren .
    »Hallo, Herr Gisevius!« sagte er überrascht, »was führt Sie her — und wie sehen Sie aus? Ist Ihnen ein Gespenst begegnet?«
    »So etwas Ähnliches...«, antwortete Werner, »nur, daß ich mir Gespenster wesentlich harmloser vorstelle... «
    »Setzen Sie sich aufs Bett«, bat Severin, »einen Stuhl wage ich Ihnen nicht anzubieten.«
    Die Möblierung des Zimmers war jämmerlich schäbig, es sah aus, als diene es durchreisenden Handwerksburschen als Nachtquartier. Ein hölzernes Bett mit gedrechselten Puppen an den vier Pfosten, ein braungestrichener Schrank, dessen Farbe Mahagoni Vortäuschen sollte, ein runder Tisch mit einer grün verschossenen Decke, die Brandspuren von Dutzenden von Zigaretten aufwies, und zwei Stühle, deren Rohrgeflecht durchgesessen war und in der Mitte herabhing. Jetzt erst verstand Werner Severins Anspielung auf den Bart des alten Kaisers im Kyffhäuser...
    Severin sah Werner ins Gesicht, und plötzlich spannten sich seine Züge. »Sie kommen von ihr?«
    »Ja«, nickte Werner, »ich komme geradenwegs von ihr. Und Sie können sich die Mühe ersparen, sie aufzusuchen.«
    »Wollen Sie mir damit etwa sagen, sie habe Ihnen eingestanden, den Unfall verursacht zu haben?« fragte Severin rasch. Es war etwas in seiner Haltung, als könne eine ungeheure Spannung in seinem Innern ihn im nächsten Augenblick zerbrechen.
    »Genau das hat sie mir gesagt!« antwortete Werner.
    »Aus freien Stücken?« fragte Severin ungläubig.
    Werner schüttelte den Kopf.
    »Ich stellte ihr eine Falle. Ich glaubte selber nicht daran, daß sie so prompt darauf hereinfallen würde. Aber vielleicht war sie dadurch bereits aus dem Gleichgewicht gekommen, daß ich ihr erzählte, ich hätte tags zuvor ihren Vater — das heißt Dr. Eyssing — in Höchst aufgesucht. Das war ein Schock für sie. Und im Anschluß daran sagte ich ihr auf den Kopf zu, sie habe in jener Nacht auf der Straße nach Grünwald mit voller Absicht einen Mord begangen, um Sie damit zu belasten. >Nein<, schrie sie mich an, >es war kein Mord! Ich habe den Mann nur...< — und wußte im gleichen Augenblick, daß sie sich verraten hatte.
    >Also war es kein Mord, sondern ein Unfall<, ergänzte ich, >aber nachdem er einmal passiert war, kam dir der Gedanke, Severin damit zu belasten...< — Und da verlor sie den Rest ihrer Selbstbeherrschung und schrie mir entgegen — mit einem Gesicht, das sich plötzlich zu einer dämonischen Fratze verwandelte — ja, so hätte sich alles abgespielt, und genauso würde sie es wiederholen, wenn es damals nicht geschehen wäre. Es war gespenstisch. Und zum Schluß forderte sie mich auf, zu Ihnen zu gehen und Ihnen alles zu erzählen. Es war Hohn und Triumph zugleich. Denn was kann ihr schon geschehen, solange sie ihr Schuldgeständnis nicht vor mehreren Zeugen wiederholt? Ich bin bereit, Ihnen als Zeuge zu dienen. Aber ich fürchte, mein Zeugnis wird Ihnen nicht viel nützen...«
    »Ich danke Ihnen!« sagte Severin mit einer Bewegung, als wolle er nach Werners Hand greifen. — »Sie haben mir einen großen Dienst erwiesen.«
    Er krümmte den Rücken und verbarg das Gesicht in den Händen.
    »Das ist nun die Stunde, auf die ich jahrelang gewartet habe, und vor der ich mich doch heimlich fürchtete. Denn manchmal wußte ich selber nicht mehr genau, ob meine Erinnerung nicht nur von dem Wunsch betrogen worden war, diesen Druck in der Brust loszuwerden. — Ihr Zeugnis brauche ich nicht...«
    »Die drei verlorenen Jahre kann Ihnen niemand zurückgeben«, sagte Werner, »das ist richtig. Aber Ihre Zukunft... «
    »Ach, lassen Sie!« unterbrach ihn Severin resigniert; »Sie sehen es selber ein, daß es anderer Beweise als Ihres Zeugnisses bedarf, um meine Rehabilitation vor einem Gericht durchzuführen. So ist es doch, nicht wahr?«
    Werner hob die Schultern: »Ich bin kein Jurist...«
    »Ich brauche andere Beweise. Und andere Beweise gibt es nicht. Was soll ich also unternehmen? Ich werde gar nichts unternehmen. Und meine Zukunft? — Bei der Bühne habe ich keine Chancen mehr. Und ich mag auch nicht mehr. Ich bin leider zu spät zu der Erkenntnis gekommen, daß ich Routine für Talent hielt. Man kam ja nie zur Besinnung, um über sich selbst
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