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Ein ungezähmtes Mädchen (German Edition)

Ein ungezähmtes Mädchen (German Edition)

Titel: Ein ungezähmtes Mädchen (German Edition)
Autoren: Simona Ahrnstedt
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Vor der Tür zum großen Foyer blieben sie stehen. Sie sah den Mann fragend an und überlegte, was sie jetzt sagen sollte. Sie war ein großes Risiko eingegangen, als sie ihm gefolgt war. Jetzt fühlte sie sich verletzlich, als ob er etwas über sie wüsste, was sie einem Fremden lieber nicht verraten hätte.
    Doch der Mann lächelte nur wieder sein schwer zu deutendes Lächeln. «Adieu» , sagte er.
    Einen Moment schien es, als wollte er noch etwas hinzufügen, aber schließlich verbeugte er sich einfach nur und verließ den Raum.

    Seth überredete Charlotta, die Oper vor Beginn des letzten Aktes zu verlassen. Wie Aida ausging, wusste er bereits, und er hatte keine Lust auf Tragödien, zumindest nicht heute. Also verließen sie ihre Plätze und fuhren zu ihr.
    Mit nichts anderem am Leib als ihrem schweren Parfum empfing Charlotta ihn in ihrem Bett. Und hinterher schlief sie so rasch ein wie immer, doch Seth lag noch wach. Nicht einmal ihr Schäferstündchen hatte seine Rastlosigkeit mildern können. Zerstreut streichelte er ihr das glänzende blonde Haar und ertappte sich bei dem Gedanken, wie es aussehen würde, wenn es feuerrot wäre.
    Charlotta murmelte irgendetwas im Schlaf.
    Schließlich stand er auf und ging durch die Wohnung. Charlotta hatte sie möbliert gemietet, und am anderen Ende des Hauses gab es eine kleine vernachlässigte Bibliothek. Mit einer Petroleumlampe in der Hand suchte er die Regale ab, bis er ein Wörterbuch fand und darin das Wort nachschlug.
    Dann klappte er das Lexikon wieder zu, ging zurück ins Schlafzimmer und zog sich an. Pfeifend bummelte er das kurze Stück zum Blasieholmstorg und zu seinem eigenen Zuhause.

[zur Inhaltsübersicht]
    3
    Im Haus der Familie Löwenström, Stockholm
    Gemessen daran, dass ihre Cousine und sie sonst eigentlich ein eher beschauliches gesellschaftliches Leben führten – und selbst das war noch großzügig ausgedrückt –, schien der Dezember geradezu ein hektischer Monat werden zu wollen, dachte Beatrice. Sie machte sich gerade für einen Besuch beim Landeshauptmann fertig, zu dem die ganze Familie fahren wollte – außer Tante Harriet, die wie immer unpässlich war. Beatrice legte ein Paar Ohrringe an und freute sich über die Abwechslung in ihrem Alltag. Tante Harriet war kränklich, und Onkel Wilhelm arbeitete von frühmorgens bis spätabends, wobei er sowieso keinen Wert auf Geselligkeit legte. In der Wintersaison, in der die meisten ihrer Altersgenossinnen diverse gesellschaftliche Ereignisse besuchten, mussten Sofia und Beatrice miteinander und mit ihrer englischen Gesellschafterin vorliebnehmen. Sie lasen, machten kleine Erledigungen und besuchten ab und zu ein paar Freunde. Am Wochenende ging die ganze Familie in die Kirche, und ein paar wenige Male im Monat lud der Onkel abends Geschäftsfreunde ein, für die die Cousinen anstelle von Tante Harriet die Gastgeberinnen spielten. Beatrice hatte einige Jahre gebraucht, um sich an dieses langweilige Dasein zu gewöhnen, das nur durch ein paar Monate Sommerfrische auf dem Land unterbrochen wurde. Als sie noch jünger waren, hatten die Mädchen wenigstens Gouvernanten gehabt und waren von Edvards Hauslehrer mit unterrichtet worden, aber nach ihrer Konfirmation war man der Meinung, dass weitere Bildung für sie überflüssig sei.
    Immerhin komme ich viel zum Sticken, dachte sie und zog die langen Abendhandschuhe an, die zu ihrem neuen elfenbeinfarbenen Kleid gehörten. An der Vorderseite war es glatt, fast keusch, doch hinten breitete es sich zu einer eleganten, goldbestickten Schleppe aus. Sie griff den dazugehörigen Schal und ging zur Treppe.
    «Bist du fertig?», erkundigte sich Sofia, die schon auf sie wartete. Beatrice nickte. Sie war froh, dem Haus in der Drottninggatan eine Weile zu entkommen.
    Die Familie verabschiedete sich vom Portier und trat hinaus in die Abendkühle. Das Wetter war umgeschlagen, schon die ganze letzte Woche war es sehr kalt gewesen. Auf dem Mälaren und Saltsjön hatte sich eine erste dünne Eisschicht ausgebreitet, und in der Luft lag das Versprechen von Schnee.

    Im Salon der großen Residenz des Landeshauptmanns stand die Gastgeberin, Karin Hielm, und begrüßte die nach und nach eintreffenden Gäste. Sie gab ihnen die Hand, verbeugte sich vor den Aristokraten und umarmte die Frauen, die sie gut kannte. In einer großen Kristallschale wartete schon die Bowle. Die schweren Vorhänge waren vorgezogen, um die Kälte draußen zu halten, und in mehreren Kaminen brannte
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